Unter der Schirmherrschaft von Netflix und Regie Eduard Berger (Erinnern wir uns an ihn durch die Serie Patrick Melrose) bekamen wir die erste deutsche Verfilmung des Romanklassikers Nichts Neues im Westen (Im Westen nichts Neues) von Erich M. Remarque. Hollywood hat seine Version bereits in den 1930er Jahren verfilmt, und man könnte argumentieren, dass diese Geschichte früher oder später einfach mit deutschen Schauspielern und in deutscher Sprache verfilmt werden musste – obwohl die Idee einer „deutschen Perspektive“ in diesem Genre existiert ist schon lange nicht mehr revolutionär oder gewagt.
Entstanden ist ein angemessen budgetstarker, kompetenter und keineswegs subtiler Einstieg in das Genre des Antikriegsepos, der jedoch sowohl inhaltlich als auch formal etablierten Bahnen folgt; stilistisch setzt er stark auf Dünkirchen (2017) von Christopher Nolan. Bergers Film ist in vielerlei Hinsicht tadellos, überschreitet aber keineswegs die Grenzen seines Genres, wie es einzelnen Meisterwerken von Kubrick oder Coppola gelang.
Eines der Zitate, die François Truffaut oft zugeschrieben werden, ist die Beobachtung, dass „es gibt keinen Antikriegsfilm“ – damit soll er andeuten, dass jeder Kriegsfilm, auch wenn er von einer pazifistischen Botschaft durchdrungen ist, durch die dramatische Darstellung von Konflikten und Bündnissen in militärischen Reihen bewaffnete Konflikte immer zumindest indirekt verherrlichen und ästhetisieren wird. Aber wenn diese Art von Zynismus und Sättigung (was war nicht die von Mendes 1917 soeben für zehn Oscars nominiert?) für einen Moment beiseite, das muss man zugeben Nichts Neues im Westen erreicht sein Ziel: Mit einer hundert Jahre alten Geschichte bewegt und präsentiert es anschaulich die unzähligen Male beschriebenen Schrecken des (Ersten Weltkriegs-)Krieges. Erwarten Sie zweieinhalb Stunden Schmerz, Blut, Schlamm und Kälte. Vielleicht ist es angesichts der aktuellen Ereignisse in der Ukraine sogar geschmacklos zu behaupten, dass Kriegsfilme „gekaut“, „wiederholt“ und „routinemäßig gemacht“ werden, wenn die Menschheit bestimmte Lehren eindeutig noch nicht verinnerlicht hat. Ist es vermessen zu wünschen, der Autor würde zumindest mit etwas mehr akademischer Dreistigkeit an die Botschaft herangehen, der wir alle im Prinzip zustimmen?
Der dramaturgische Bogen der Geschichte folgt dem Übergang vom naiven Idealismus zur bitteren Enttäuschung des jungen deutschen Soldaten: Als wir zum ersten Mal den jungen Paul Bäumer (Felix Kammerer), ist ein 17-jähriger noch grün hinter den Ohren, der von einem wütend nationalistischen Lehrer mit Reden über die „Ehre“ des Krieges begeistert wurde. Anders als der Betrachter wissen Paul und seine Mitschüler, die mit gefälschten Unterschriften ihrer Eltern in die Armee eintreten, nicht, dass sie die ordentlich gefalteten und geflickten Uniformen von den vor ihnen gefallenen jungen Männern „geerbt“ haben. (Übrigens: Im Roman zieht Paul zu Beginn des Konflikts in den Krieg, was seinen Eifer viel besser rechtfertigt als die Prämisse des Films, dass er 1917, nach drei Jahren Kampf und Millionen von Opfern, immer noch Kapuzen über seinen hat Augen.)
Da Krieg aber eine Kollektiv- und keine Einzelleistung ist, verschmilzt Bäumer, wie so oft in Kriegsfilmen, in den Augen des Betrachters bald mit anderen, ebenso jungen, schlammigen und orientierungslosen Fußsoldaten. (Von Kindern, Berufen und Familien ist die Rede, aber im Zusammenhang mit einzelnen Soldaten schwer vor Augen zu behalten.) War das Kriegsschauspiel für den Regisseur einfach interessanter als einzelne Schicksale? Oder vielleicht war es eine bewusste Entscheidung des Autors, die Charaktere charakterlich und visuell austauschbar zu machen: Der Tod ist schließlich der große Gleichmacher, und anscheinend wird keiner von ihnen ihm entkommen. Berger katalogisiert alle möglichen Permutationen des Endes – an der Spitze eines Bajonetts, unter einer Giftgaswolke, unter einer eingestürzten Bunkerdecke, aufgrund einer gut gezielten Kugel – mit erschreckender Lebendigkeit.
Felix Kammerer ist dennoch ein Name, den man sich merken muss: In einer Reihe von Nahaufnahmen zeigt der junge Schauspieler ohne unnötige Worte eine komplette Verwandlung von einem vitalen, selbstbewussten Mann in eine zerbrochene Hülle eines Mannes. Dank Krammerer bleibt die Szene des Duells, das sich in völliger Stille im Bombenkrater abspielt, auch dann in Erinnerung, wenn die anderen Details des Films verblassen.
Der Großteil der Action beschränkt sich auf die verwüstete Front; Berger malt mit gebührender Ehrfurcht eine Welt aus Leichen, Blutströmen, Trümmern und Zerstörungen. Momente bedrohlicher Ruhe in wassergesättigten Schützengräben wechseln sich mit Kampfszenen ab; der schrecklichste von ihnen, der monströse Gegenangriff französischer Panzer, die Körper unter ihnen wie überreife Früchte zerknüllen. Wie die meisten Filme aus dem Ersten Weltkrieg auch Nichts Neues im Westen Er weist darauf hin, dass die Westfront mehr oder weniger eine fruchtlose Todesfabrik war, in der sie viele Jahre lang abgeschlachtet wurden, ohne dass die eine oder andere Seite eine größere Verschiebung der Kampflinie erreichte.
Das Drehbuch, das sich ansonsten viele Freiheiten hinsichtlich der literarischen Vorlage erlaubt, fügt eine viel zur Botschaft beitragende Handlung zum Thema Kriegswillkür und unbedeutende Details hinzu, die für Millionen Menschen fatale Folgen haben. Während sie an der Front geschlachtet werden, werden hinter den Kulissen zwischen Minister Matthias Erzberger (Daniel Brühl) und General Friedrich (David Striesow): der erste ist ein Pazifist, der zweite ein Nachkomme einer Militärfamilie, der sich gerne mit Kriegsruhm krönen möchte. Gemeinsam haben sie die Aufgabe, einen Waffenstillstand zwischen dem nun klar besiegten Deutschland und den alliierten Mächten zu erreichen und zu unterzeichnen. Erzberger, der selbst einen Sohn bei den Kämpfen verloren hat, hat zweifellos edle Absichten und versteht auch, dass Menschen sterben, während Verhandlungsführer ihre Zeit damit verschwenden, ihre Muskeln spielen zu lassen und französische Croissants zu knabbern. Doch sein „Kampf“ findet ausschließlich in eleganten Salons und samtgepolsterten Waggons statt – die Politik zahlt also nie den hohen Preis einer Niederlage.
Ein herausragender Aspekt des Films ist sein – überraschend anachronistischer – Soundtrack: Volker Bertelmann durch den rhythmischen Einsatz von Schlagzeug und Synthesizer behält er ein ständiges Gefühl des Untergangs und der bevorstehenden Katastrophe bei; seine Musik erinnert eher an die deutsche Clubszene als an die routinierten Tricks eines gewissen Hans Zimmer. Der Tod kann jeden Moment zuschlagen, suggeriert die Musik, selbst wenn ein Waffenstillstand angekündigt wurde und Frieden am Horizont zeichnet.
Die Hauptfolge dessen, dass Berger von der ersten bis zur letzten Szene apokalyptische Zerstörung und Elend anhäuft, ist die völlige Benommenheit des erschöpften Publikums, wenn endlich der Abspann läuft. Nichts Neues im Westen ist ein Film, den man kaum bemängeln kann, aber wir können (leise) vermuten, dass er sich mit den grotesken Dekorationen des Krieges überaus geschmückt und auf einen Oscar-Köder eingestellt hat. Und das ist ihm gelungen: Am 12. März kann er gleich neun Oscars einheimsen, darunter dürfte die Statuette für den besten internationalen Film bereits garantiert sein.
Bewertung: 3,5
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