Ich werde nicht verraten, wer, aber ein Mitglied meiner unmittelbaren Familie ist überzeugt, dass er Deutsch kann. Es ist kein Geheimnis, dass Deutsch für meine Generation ist, das heißt für die Generation der Kinder, die mit Am Dam Des im österreichischen Staatsfernsehen aufgewachsen sind und bis jetzt nie wirklich die echte Stimme des Ritters am Steuer, Captain Kirk und Alf gehört haben, weil sie an synchronisierte Serien und Sendungen gewöhnt sind, nachdem die Ausstrahlung zur Zweitsprache wurde. Jeder Karate Kid-Kick hat einen deutschen Namen, Bill Cosby ist „Gynäkologie“ und Helden Schmutziges Tanzen sie sagen „Ich liebe dich“ zueinander. Aber nur wenige von uns Boomer-Kindern hörten diese Worte live, die beste Chance bestand am Meer, als wir durch den Zaun auf einen viel besser organisierten FKK-Strand starrten und blonde Haare, Autos mit mehr als 200 Stundenkilometern auf dem Tacho und moderne Turnschuhe bestaunten. Auf dem Rückweg vom Meer logen wir uns gegenseitig vor, dass wir eine schöne deutsche Frau kennengelernt hätten, dass sie versprochen hätte, uns zu besuchen, dass sie in jeder Hinsicht reich und großzügig sei. Und natürlich, wie sie „Ich liebe dich“ flüsterte.
An Fernsehen Ljubljana war damals ein deutlich weniger interessantes Programm für Kinder als im österreichischen Fernsehen ORF. Und da das Fernsehen den Eltern regelmäßig zu Hilfe kam und die Rolle des Babysitters übernahm, lernten mein Bruder und ich die Sprache schnell. Gelegenheiten, das erworbene Wissen in der Praxis zu testen, boten sich nicht nur einmal im Jahr an der Adriaküste. Aber wo, die Leute von Maribor, haben wir Österreich gleich um die Ecke, eine halbe Stunde waghalsige Fahrt mit einem Krug, und wir waren bereits in Debela Berta, einem Selbstbedienungsrestaurant gleich hinter der Grenze in Šentilje, wo wir Waren aus dem Westen kauften, um Waschpulver mit einer Digitaluhr und süßen Düften in Sprays stritten. Wir wagten uns noch waghalsiger nach Lipnica, später fand ich heraus, dass diese berühmten weißen Pferde woanders waren, wo wir alles von Schuhen, BMX-Ausrüstung bis hin zu Wäsche zum Waschen kaufen konnten. Und da mein Bruder und ich Deutsch konnten, wussten wir sehr gut, dass das bereits erwähnte oder eher nicht erwähnte Mitglied der unmittelbaren Familie in dieser Sprache keinen einzigen sinnvollen Gedanken fassen konnte und gleichzeitig niemanden zu Wort kommen ließ. Sie mussten nicht einmal aus Versehen antworten, er kam bereits auf Sie zu und übernahm mit seiner starken, erwachsenen Stimme das Kommando.
An interessante Fälle kann ich mich noch heute gut erinnern. So bat er einmal eine niedliche Verkäuferin mit lebhaften Augen und etwas unsicherem Gesichtsausdruck, ihr eine Reihe von Elektrorasierern zu zeigen. Er kaufte sie für mich und für den Flaum unter meiner Nase, weil ich nicht mehr wie ein Skispringer aussehen sollte. Und nach eingehender Betrachtung habe er den richtigen gefunden, sagte er zu ihr in seinem Deutsch, und ich fasse es in der Übersetzung zusammen: Aber dieser Rasierer wäre genau das Richtige für Sie! Die Verkäuferin hatte den ersten Impuls, tief beleidigt aus dem Laden zu rennen, am Mattel-Spielzeugladen vorbei abzubiegen und sie geradewegs in das Maisfeld zu winken, das in Österreich schon immer flacher und üppiger gewachsen ist als bei uns. Aber sein wohlwollender Gesichtsausdruck hielt sie davon ab und beruhigte sie. Und als er ihr sagte „Wir nehmen dich mit, pack einfach zusammen“, lachte sie nur süß, stellte sich vielleicht vor, wie es wäre, die Polster von den Schultern ihrer Jacke zu entfernen, damit sie sich mit einer Dauerwelle in eine Kiste für einen Friseurladen quetschen und in einem Krug hinter den Eisernen Vorhang fahren könnte, wo Männer noch Männer sind, tabakgelbe Finger haben und Bier aus Flaschen trinken.
Ein paar Jahre später, als der Dinar dem Schilling gleichkam, weil alle Nullen von den Banknoten verschwunden waren, waren wir schon bis nach Graz vorgedrungen, in den Metro-Laden, der nur für Handwerker mit einer speziellen Karte bestimmt war. Natürlich hatten wir alle diese Karte, wir blätterten wütend durch die Kataloge, ihre guten Angebote und freuten uns fast mehr auf den Discounter als auf das Meer. Ja, damals sickerte der Fortschritt bereits durch unsere Poren, es roch nach frisch verpackten Plastikgegenständen. Jetzt, Jahrzehnte später, ist der österreichische Mais immer noch gerader als unserer, die dicke Bertha ist tot und chinesische Frauen fallen aus Rasiererschachteln und seufzen Wo Ai Ni.
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