Willst du mich verarschen? Vielseitiger Angreifer Kai Havertz als Linksverteidiger?! Zyniker würden argumentieren, dass nach der mutigen Entscheidung von Julian Nagelsmann Arsenals unerprobte Offensivkraft zumindest auf dem Feld und nicht auf der Bank landete, doch der kürzlich ernannte Trainer der deutschen Nationalmannschaft ist weit davon entfernt, das schwierige Dilemma mit einem radikalen Schritt zu lösen.
Vor etwas mehr als fünf Jahren lachten die Fußballfans und Anhänger des frechen und inspirierten jungen Mannes, der Tore schoss wie eine Wette, oft. Heute stößt ein großer Teil der gleichen Menge bei jedem Tor, das der schlaksige 24-Jährige schießt, kollektiv auf. „Huh, er hat es endlich geschafft. Er brauchte das. Jetzt wird es fließen…“ Auf sein Debüt bei Arsenal, seinem neuen Arbeitgeber seit Sommer, musste er bis Ende September warten. Obwohl in Bournemouth jemand anderes damit beauftragt wurde, den entscheidenden Elfmeter zu schießen, übertrug Gunners-Kapitän Martin Ødegaard die Verantwortung beim 2:0-Ergebnis dem zuvor zurückhaltenden Aachen. Havertz ist nicht gescheitert. Er löste im Auswärtsbereich große Aufregung aus und seine überglücklichen Teamkollegen folgten ihm in tosendem Jubel. „Gut gemacht, Bruder“ schrieb Ødegaard nach dem Spiel im beliebten sozialen Netzwerk, um die Tordürre zu durchbrechen – er erzielte erst im zehnten Spiel im rot-weißen Trikot – schmeichelte Trainer Mikel Arteta seinen Teamkollegen. Ziemlich viel Drama rund um den üblichen Elfmeter, auch wenn das gefeierte Tor Havertz‘ bisher letztes Tor für Arsenal bleibt. Die Tatsache, dass seine Mitspieler ihm den Ball tatsächlich in die Hände drücken mussten, bis er schließlich den erwarteten Zug machte, wird auffallen. Eine weitere interessante Konsequenz trat ein. Trotz des bescheidenen Beitrags spricht seitdem niemand mehr vom offensiv umherwandernden Havertz, der es schaffen würde, den schießenden gordischen Knoten zu lösen. Eher umgekehrt.
Schließlich stand er nicht unter Druck, am vergangenen Wochenende im Freundschaftsspiel gegen die Türkei ein frühes Tor zu erzielen und Deutschland in Führung zu bringen. Im Berliner Olympiastadion stand der 24-Jährige in der siebten Minute einfach am besten und wählte den bestmöglichen Spielzug: Er schoss von der Strafraumgrenze punktgenau ins untere Eck. Er hätte die Chance nicht besser nutzen können und mit seinem grandiosen Tor brachte er die lautstarken Kritiker keineswegs zum Schweigen, die einhellig behaupten, dass er die hohen Erwartungen in der Nationalmannschaft bei weitem nicht erfüllt. Kevin Kampls ehemaliger Teamkollege bei Bayer Leverkusen galt einst als Mesut Özils Nachfolger und zukünftiger Frontmann des viermaligen Welt- und dreimaligen Europameisters. In letzter Zeit überschneidet sich seine Form in der Auswahlmannschaft jedoch immer mehr mit der Grausamkeit des Vereins, wodurch er in den Nationalmannschaftsspielen nach und nach die Rolle eines Jokers übernimmt … bis er als Auswahlspieler abgelöst wird. Neuzugang auf der deutschen Ersatzbank, Julian Nagelsmann, hat für Havertz eine ungewöhnliche Herausforderung gewählt – die Position eines vielseitigen Linksaußens. Der eigentlich offensive Mittelfeldspieler revanchierte sich sofort mit einem Tor, woraufhin, Sie ahnen es schon, ein weiterer kollektiver Seufzer der Erleichterung folgte: „Huh, er hat es endlich geschafft. Er brauchte das. Jetzt wird es fließen…“ Es folgte die Millionen-Euro-Frage: Konnte eine Lösung für den verfluchten Knoten gefunden werden? Nun ja… Schon der Spielzug mit der Hand, mit der er dem Gegner im selben Spiel einen Elfmeter verpasste, bestätigt, dass niemand so recht weiß, was man mit dem 24-jährigen Jahrhunderttalent anfangen soll. Weder der Selektor noch der Klubchef Arteta.
Er wurde sogar ein Fremder
Schon zu Beginn des Sommers waren die Aussichten völlig anders. Es sah so aus, als würden Havertz‘ große Worte über einen Karrierehöhepunkt endlich wahr werden. Erinnern wir uns: Nach einem unglücklichen Jahr bei Chelsea (er erzielte als Hauptstürmer bescheidene 10 Tore in 42 Spielen) wechselte er für stolze 75 Millionen Euro und eine kleine Menge randvoller Erwartungen zum Stadtrivalen Arsenal . Er entfachte bei den Fans im Norden Londons und in seinem Heimatland eine kaum glimmende Hoffnung. Er soll einfach im Trikot der Gunners zu altem Glanz zurückfinden – und vor allem in seine alte, erkennbare Rolle zurückkehren.
Schon in Leverkusen wurde der damals überdurchschnittlich talentierte junge Mann aufgrund seiner vielen Exzesse an der Angriffsspitze, auf dem rechten Flügel, auf der Position der klassischen Zehn oder der Hauptstütze der Neuner zu Recht als facettenreich beschrieben , obwohl Havertz auf dem rechten Teil der offensiv ausgerichteten Mittellinie der Bayer besonders glänzte. Zu lange bei Chelsea wurde er von Experten mangels Alternativen zu lange auf die imaginäre Nummer neun gedrängt, von der aus er die Truppe von Thomas Tuchel im Frühjahr 2021 auf den Champions-League-Thron führen würde, ansonsten aber extrem Genaues, aber übermäßiges Streicheln des Balls galt immer noch als Verschwendung. Die unangemessene Rolle war einer der Hauptgründe für die wenig überzeugenden Leistungen, daher ist es nicht verwunderlich, dass er sich nach Angaben der Inselmedien dazu entschloss, das Mittelfeld zu wechseln und sich für einen Stadtrivalen entschied, wo ihm Trainer Arteta regelmäßige Einsätze in der Nationalmannschaft versprach . In der durchschnittlich schlechten Saisonhälfte der Deutschen hat das Wort offenbar (noch) nicht das Wort gegeben.
Seit Havertz‘ rekordverdächtigem Wechsel in die Premier League sind mehr als drei Jahre vergangen, und der Deutsche wechselt immer noch Spiel für Spiel von Position zu Position. Der ewige Sucher in Artetas taktischer Geometrie findet sich gelegentlich in der angreifenden Acht, manchmal verwandelt er sich in eine falsche Neun. Nach allem, was gezeigt wurde, scheint es, dass keine Rolle vollständig zu ihm passt. Mit einem mageren Beitrag von einem Tor und einer Vorlage in 19 Spielen konnte er die hohe Investition bei weitem nicht rechtfertigen. Während der ehemalige Arsenal-Favorit Granit auf der Suche nach einem neuen Spitznamen für Arsenals Rookie. Um seinen Kriegsgewinn bestmöglich auszuschmücken, zog er sogar ein deutsches Wörterbuch zu Rate und blieb bei dem Wort „Der Fremdkörper“ stehen. Im September befragte die Redaktion des weltweit meistgelesenen Sportportals anerkannte Experten der Premier-League-Welt zu ihrer Einschätzung des jährlichen Transferfensters. Die meisten waren sich einig, dass Arsenals Überholmanöver gegen Kai Havertz der schlechteste Schachzug war.
Zu gut für Joker, zu schlecht für Angriff
Was ist mit der Nationalmannschaft? Auf der Bühne, auf der Havertz einst in einer Hauptrolle glänzen und im Mittelpunkt stehen sollte, sind seine bevorzugten Positionen im offensiven Mittelfeld längst den neuen Hoffnungsträgern des deutschen Fußballs vorbehalten: Jamal Musiala und Kais Nachfolger bei Bayer, Florian Wirtz. Wohin gehe ich also mit Havertz? Der Selektor scheint die Antwort gefunden zu haben: Der 24-Jährige ist zu gut für die Bank, aber zu schwach für einen anständig besetzten Angriff. Das behauptet zumindest Nagelsmann, der bei den Tests mit der Türkei und Österreich zwei Fliegen mit einer Klappe schlug und den „problematischen Maultier“ auf die ohnehin schon unterernährte und brennende Position des linken Außenverteidigers verlegte. Havertz hat sich in seiner neuen Rolle überraschend gut geschlagen, so das örtliche Fachpublikum, er habe es „laut Schule“ gemeistert, allerdings ohne „Exzess“, wie der Wähler erkannte. Havertz nahm die Herausforderung mit der erwarteten Offensivinterpretation an, zeigte aber praktisch nicht seine bewährten Qualitäten – tadellose Ballkontrolle und dosiertes Eindringen aus der Tiefe des Strafraums.
Wenn Vielseitigkeit zum zweischneidigen Schwert wird
Letzteres ist Nagelsmanns scharfem Blick sicherlich nicht entgangen. Dennoch bleibt der proaktive und entwicklungsorientierte Stratege bestehen: Havertz profitiert nur von seiner Vielseitigkeit und den ständigen Wechseln der Spielpositionen sowohl im Verein als auch in der Nationalmannschaft. Der Selektor hat auf seine Weise Recht. Schließlich kann niemand einem Tennisspieler sagen, er solle nur auf Sand oder Gras spielen. Vielfältigkeit und Diversität im Fußball zeugen auch von Qualität und Breite. Welcher Trainer hätte nicht gerne ein vielseitiges Schweizer Taschenmesser in seinem Team, einen Spieler, der praktisch alles kann? Wenn wir uns auf den deutschen Raum beschränken, müssen wir nicht weit in die Vergangenheit gehen, um an Kevin Großkreutz zu erinnern, der von den Trainern vom linken Flügel auf die linke Seite der Abwehr und dann auf deren rechte Seite in der gerückt wurde Beste Zeiten, aber im Grunde hat er überall auf dem Feld gereicht. Und der unverzichtbare Thomas Müller, für den der ikonische Jupp Heynckes das Wort „Der Raumdeuter“ in den deutschen Fußballjargon einführte, Bastian Schweinsteiger, Philipp Lahm oder, auch wenn er davon gar nichts hören will, Joshua Kimmich, dessen Heimarbeitsplatz das Mittelfeld ist, der aber als Rechtsverteidiger die Champions League gewann… Und Kai Havertz.
Der sogenannte Wettbewerbsvorteil oder besser gesagt der komparative Vorteil ist ein bewährtes und ausgereiftes Konzept nicht nur in der Ökonomie und Evolution. Um aufzufallen, muss man sich auch auf Sport spezialisieren. Wenn wir Nagelsmanns Logik folgen, hat Tennis-Ass Rafa Nadal tatsächlich einige Grand Slams auf anderen Belägen gewonnen, aber die Lorbeergarderobe des Spaniers würde ohne Wettbewerbe auf Sand bei weitem nicht so glänzen. In der beliebtesten Branche ist das nicht anders. Selbst die vielseitigsten Fußballer können ihren Höhepunkt nur erreichen, wenn sie sich auf einer speziellen Spielposition perfektionieren: Schweinsteiger als zentraler Mittelfeldspieler, Lahm auf der rechten Außenbahn, Thomas Müller als Stürmer von hinten. Wenn ein hochrangiger Spieler in ein Feld versetzt wird, in dem er seine gepriesenen Stärken nur in begrenztem Umfang in den Inhalt einbringen darf, ist der letztendliche Gewinn … begrenzt. Das ewige Dilemma von Kimmich könnte eine wichtige Warnung für den Fall Havertz sein: Der ehemalige Kapitän könnte in naher Zukunft wieder auf seiner ungeliebten Rechtsverteidigerposition spielen.
Allerdings hat Havertz in seiner neuen Rolle auch viel zu gewinnen. Man kann mit Nagelsmann kaum argumentieren, dass die Lücke auf der linken Abwehrseite eine neue Chance für den 24-Jährigen und eine Möglichkeit ist, bei der bevorstehenden Heim-EM eine Führungsrolle zu übernehmen. Wahrscheinlich sogar der Einzige. Letzten Endes ist die Mannschaft im Angriff recht gut aufgestellt.
Foto: Gulliver Images
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