Es sagt: Konrad Schuller (FAZ)
So schlecht wie heute waren die deutsch-polnischen Beziehungen schon lange nicht mehr. In Polen herrschen erbitterte Polarisierung und antideutsche Einstellungen. Allerdings wäre es zu einfach, für diesen Zustand nur die Polen verantwortlich zu machen; Dies ist das Ergebnis schwerwiegender Fehler in der deutschen Politik.
Der Mann mit dem schwierigsten Job in Berlin sitzt im Bundestagsrestaurant und bestellt einen Kaffee. Es ist nicht der Bundeslandwirtschaftsminister aus den Reihen der Grünen, Robert Habeck, sondern der Sozialdemokrat Dietmar Nietan, der auf einen alten Freund aus Warschau wartet. Ihr zwei habt viel zu besprechen.
Nietan (59) ist seit März 2022 Kurator der Bundesregierung für Polen. „Seine Aufgabe ist es, zur weiteren Annäherung der beiden Gesellschaften beizutragen und gemeinsame deutsch-polnische Projekte zu fördern“, heißt es in der Beschreibung seiner Tätigkeit.
Doch tatsächlich handelt es sich um eine „Mission Impossible“, denn in den deutsch-polnischen Beziehungen bewegt sich nichts. Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern seien nicht „in einem guten Zustand“, sagt Nietan – das sei eine recht differenzierte Beschreibung dafür, dass Hass das Einzige sei, was derzeit zwischen Berlin und Warschau ausgetauscht werde.
Mit 38 Millionen Einwohnern ist Polen Deutschlands wichtigster östlicher Nachbar. Seit der russischen Invasion in der Ukraine ist Warschaus Rolle in der EU und der NATO viel größer geworden. Polen versteht sich als Führungsmacht und Beschützer der Länder Mittel- und Osteuropas wie Tschechien, Litauen, Estland und Lettland.
In einer idealen Welt würden Deutschland und Polen ein selbstbewusstes Zentrum für die Abwehr der Aggression Moskaus in Mitteleuropa bilden. Allerdings leben wir nicht in einer idealen Welt. Es knarzt überall. Die von der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) geführte Regierung sieht im Kreml die größte Bedrohung für Polen. Unmittelbar danach steht Berlin auf der Liste der Feinde Polens. „Wer in Regierungskreisen als Freund der Deutschen abgestempelt wird, hat in der PiS keine Chance, und das verursacht die größten Probleme“, bedauert Nietan.
Im politischen Alltag sorgt das für seltsame Szenen. Deutsche Politiker, die zu Gesprächen nach Warschau reisen, werden, wenn überhaupt, hinter verschlossenen Türen empfangen. Dann folgt ein Sturm aus Flüchen und Unfreundlichkeit. Das obligatorische gemeinsame Foto nach dem Treffen mit Händedruck und Lächeln, das Ausdruck guter Nachbarschaftspolitik ist, wird von polnischer Seite meist boykottiert.
Als Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) im Februar seinen Kollegen Mariusz Blaszczak in Warschau besuchte, kam es fast zu einem Eklat. Entweder am Grab eines unbekannten Helden, am Denkmal des Warschauer Aufstands oder am Denkmal für die Helden des Ghettos legte Pistorius selbst die Kränze nieder; Der polnische Verteidigungsminister weigerte sich rundweg, sich ihm anzuschließen.
Auch bei der Pressekonferenz trat Pistorius allein vor die Kameras. Blaszczak hatte jedoch gleichzeitig ein Fernsehinterview in einem der heutigen Räume; es ist ein offen feindseliger Rang. Laut Pistorius war das Treffen mit seinem polnischen Kollegen eines der „ehrlichsten und klarsten Gespräche, die man sich vorstellen kann“. Laut Welt war das Gespräch freundlich, aber gleichzeitig brutal direkt. Nach dem anfänglichen Wortgefecht bei diesem Treffen verbesserten sich die Beziehungen nur, wie es in Berlin heißt.
Pistorius war nicht der Einzige, der in Warschau einen eher rauen Empfang erlebte. Es ist auch die Rede von der EU-Delegation, die kürzlich den polnischen Bildungsminister besuchte. In der Delegation waren auch Deutsche. Der Pfarrer schimpfte mit ihnen und sagte ihnen, die Deutschen hätten nichts zu korrigieren und zu lehren. Erwähnenswert ist auch die Szene vor ein paar Tagen mit einem Abgeordneten des polnischen Sejm, der einen Vortrag im Deutschen Historischen Institut unterbrach, als er sich das Mikrofon schnappte und aus dem Saal eines polnisch-kanadischen linken Historikers stürmte, der das behauptete Die Polen waren für den Holocaust verantwortlich.
Die antideutsche Hysterie richtet sich längst auch gegen polnische Politiker. Regierungsparteien werfen der Opposition gute Beziehungen zu Russland oder Deutschland vor, was einem Vorwurf des Hochverrats gleichkommt. Letzte Woche unterzeichnete der polnische Präsident Andrzej Duda ein umstrittenes Gesetz zur Einrichtung einer Kommission zum russischen Einfluss. In Polen wird das Gesetz auch „Lex Tusk“ genannt, weil es sich ursprünglich gegen Oppositionsführer Donald Tusk richtete, der der kaschubischen ethnischen Minderheit angehört, Deutsch als Muttersprache spricht und zudem Angela Merkel sehr nahe steht.
Tuski ist nicht der Einzige, der künftig ohne Gerichtsentscheidung aus öffentlichen Ämtern entfernt werden könnte. Für Deitmar Nietan handelt es sich um den „größten Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit“ in Polen seit 1990. Das Gesetz werde zur „politischen Eliminierung“ von Menschen genutzt. Die Kommission fungiert als Richter und Staatsanwalt zugleich. „Eine solche Qualität pseudogerichtlicher Strukturen ist in der EU nicht akzeptabel“, kritisiert Nietan.
Die Gründe für die erbitterte Polarisierung und antideutsche Haltung sind vielfältig. Nietan muss aktuelle, historische und ideologische Fäden entwirren. Seiner Meinung nach herrschte in der polnischen Politik schon immer ein rauer Ton. Dass er jetzt besonders stark ist, führt er auf die Sejm-Wahlen zurück, die im Herbst stattfinden werden. „Ich fürchte, das ist erst der Anfang“, sagt er. Mit dem Wahlkampf werden die Angriffe eskalieren. Nicht nur Nietan hofft, dass sich die Stimmung nach dem Ende des Wahlkampfs beruhigt. Die von den Regierungsparteien angeheizten Feindseligkeiten schwächen die polnische Gesellschaft ab. Auf Deutschland zu spucken ist in Polen beliebter denn je.
Es wäre zu einfach, für diese Atmosphäre nur die Polen verantwortlich zu machen. Der Wahlerfolg der PiS ist mit schwerwiegenden Fehlern der deutschen Politik verbunden, die mehrere Jahre lang kein Interesse an Warschau zeigte. Viele Polen waren 2015 entsetzt über die Flüchtlingspolitik Angela Merkels und noch mehr über die Forderungen Berlins, illegale Migranten aus Deutschland nach Polen umzusiedeln. Die unsichtbare Liebe zwischen Berlin und Moskau und das Drängen aller deutschen Parteien (außer den Grünen) auf den Bau der Gaspipelines Nordstream 1 und 2, die das zentrale Instrument der russischen Aggression gegenüber der Ukraine darstellen, lösten in Polen parteiübergreifende Besorgnis und Erinnerungen aus Der Hitler-Stalin-Pakt von 1939. Zu Beginn stärkte die unentschlossene Hilfe für die Ukraine mit Waffen aus Berlin das Vertrauen in Deutschland auch in den Reihen der polnischen Opposition weiter.
Als polnische Politiker in Berlin vor dem russischen Imperialismus warnten, wurden sie entweder völlig ignoriert oder vor die Tür gesetzt. Die Besorgnis Warschaus ist in jeder Hinsicht auf das erlebte historische Trauma zurückzuführen. Am 24. Februar 2022 wurde deutlich, dass die Polen keineswegs irgendeine „verzerrte Sicht“ auf den Kreml haben, wie in Berlin zu hören war. Die Deutschen waren naiv und arrogant.
Diese Art germanischer Arroganz rächt sich nun an ihnen. Sie sehen sich auf der Seite der Gewinner und verhalten sich entsprechend. Die PiS-Regierung fordert von Berlin eine Kriegsentschädigung in Höhe von 1.300 Milliarden Euro für die Zerstörungen, die die Deutschen im Krieg angerichtet haben. Es fordert auch die Anerkennung der polnischen Minderheit in Deutschland.
Aus all diesen Gründen ist die Dialogbereitschaft in Berlin mittlerweile praktisch bei Null. Es wird schwierig sein, einen deutschen Bundesminister zu finden, der bereit ist, nach Warschau zu reisen und dort befragt zu werden. An der 460 Kilometer langen deutsch-polnischen Grenze müssen sich die Kommunen daher nun mit der Außenpolitik befassen und die Beziehungen verbessern.
Partnerstädte wie Görlitz und Zgorzelec, Guben und Gubin, Frankfurt am Oder und Lubice haben sich seit dem EU-Beitritt Polens von den Vorstädten zum Zentrum Europas entwickelt.
„Mit Slubice kooperieren wir seit Jahrzehnten, die Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene ist recht gut“, sagt der Oberbürgermeister von Frankfurt an der Oder, René Wilke (DDR-Levica). „Was wir alleine schaffen könnten, ist getan“, sagt Wilke, „aber was auf dem Papier übrig bleibt, können wir nicht alleine schaffen.“ Er denkt mit seinen polnischen Partnern über einen gemeinsamen städtischen Raum nach, der als gemeinsamer Schulbezirk realisiert werden könnte. Ich möchte auch die Energieversorgung weiterentwickeln. „Die Leute wollen hier kaufen, aber das wird von oben verhindert“, klagt er.
Nietan will sich nicht von der Militanz der polnischen Regierung anstecken lassen. „Wir müssen unsere Fassung bewahren“, sagt er. Trotz der Unfreundlichkeit lautet sein Motto: „Mehr Empathie für Polen“. Als Vertrauter Deutschlands für Polen fordert Nietan von der Bundesregierung die Entwicklung einer „positiven Agenda“ für die deutsch-polnischen Beziehungen. Die Liste der Projekte könnte im Herbst abgeschlossen sein, und dann wäre es Zeit für Gespräche mit der neuen polnischen Regierung, welche auch immer diese sein wird.
Nietan ist davon überzeugt, dass Deutschland Mittelosteuropa eine größere „Rolle in der Außenpolitik“ einräumen muss. Er will ein schnelleres Tempo, etwa durch die Errichtung eines Denkmals für die polnischen Opfer der deutschen Besatzung in Berlin. Polonien bzw. der polnischen Gemeinschaft in Deutschland sollte mehr Respekt entgegengebracht werden. Nietan drängt auf ein konzentriertes Vorgehen der Berliner Bundesregierung und der Landesregierungen auch beim Polnischlernen in Deutschland.
Nietan lehnt ansonsten offizielle Zahlungen von Kriegsreparationen an Polen ab. Er plädiert aber für eine „größere deutsche Aufmerksamkeit“ bei der Verbesserung der Beziehungen. Auf drei Seiten formulierte er seine positive Agenda: Alles, was gute nachbarschaftliche Beziehungen in Kultur, Verkehr, Bildung, Militär oder Landwirtschaft stärkt, will Nietan darstellen und besser finanzieren.
Unterstützung für seine Pläne bekam er vom Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg, Dietmar Woidke (SPD). Der Erfolg der in Berlin angekündigten „Kehrtwende“ von Angela Merkels Politik hänge auch davon ab, „die polnische Perspektive zu verstehen“, sagt Woidke. „Ab und zu müssen wir eine polnische Brille aufsetzen.“ Das bedeutet auch nicht, Stellung zu beziehen die polnische Regierung. „Wir müssen auf jeden Fall fair und freundlich auf die polnischen Standpunkte eingehen, auch wenn die Gespräche mit der polnischen Regierung manchmal lebhafter sind.“
Deshalb wünscht sich Woidke mehr Initiativen vom Bundes-Berlin. „Seit dem letzten Gipfeltreffen zwischen der polnischen und der deutschen Regierung sind mehrere Jahre vergangen. Eine neue Initiative zur zwischenstaatlichen Konsultation wäre sehr zu begrüßen“, sagt Woidke. Berlin müsse „mit gutem Beispiel vorangehen und die Tür öffnen“.
Quelle: www.faz.net
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