Eine Reise an die Seite der Konstellation der slowenischen Poesie

Vor allem zwei „Disziplinen“ sind die tragenden Säulen der slowenischen Gastfreundschaft: Philosophie und Poesie. Wir sagen gerne, dass sie im slowenischen Raum eine nationenbildende Funktion hat; der Direktor der Messe hat sie wiederholt als seine Spezialität hervorgehoben. Jürgen Boosund bezeichnete die Slowenen als Nation der Dichter. Es ist kein Zufall, dass eines der Bücher im Mittelpunkt eine große zweisprachige Anthologie slowenischer Poesie des 20. und 21. Jahrhunderts sein wird. Mein Nachbar auf der Wolke.

In der Anthologie, die im Münchner Carl Hanser Verlag in Zusammenarbeit mit der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung erschienen ist, werden insgesamt achtzig Dichterinnen und Dichter vorgestellt. Dazu zählen sowohl Klassiker als auch Edvard Kocbek Und Glücklicher Kosovelsowie aktive, die möglicherweise noch nicht ins Deutsche übersetzt wurden, oder jüngere, die gerade erst ihren Weg auf die internationale Bühne finden.

Das Buch wurde von einem Dichter, Schriftsteller und Übersetzer gestaltet Matthias GöritzÜbersetzer Amalija Maček und ein Dichter, Schriftsteller, Herausgeber und Übersetzer Aleš Šteger. „Es muss betont werden, dass es in den letzten Jahrzehnten im deutschen Raum einfach kein ähnlich anspruchsvolles und umfassendes Rezensionsbuch zur slowenischen Lyrik gegeben hat“, sagte Šteger. Darüber hinaus, fügte Göritz hinzu, sei dies nicht nur die erste derartige Präsentation slowenischer Lyrik auf Deutsch, sondern überhaupt in einer Sprache.

Ein Reisebuch für Lyrikleser

Laut Göritz entstand die Idee zur Anthologie vor neun Jahren, als er und Amalija Maček Boris Pahor. Später luden sie Štegr, der Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ist, zur Teilnahme ein. Gemeinsam entwarfen sie das Konzept und die Auswahl – die aufgrund der Art ähnlicher Anthologien angepasst werden musste – und Matthias Göritz und Amalija Maček lieferten auch einige neue Übersetzungen. „Manche Gedichte lassen sich übersetzen, andere sträuben sich“, sagte die Übersetzerin. Es sei nicht notwendig, dass ein Lied, das auf Slowenisch ausgezeichnet sei, auch in der Übersetzung so klinge, fügte Šteger hinzu. Die Qualität der Übersetzung und die Wirkung des Liedes auf Deutsch war daher eines der Kriterien für die Auswahl. Vor allem strebten sie nach den hervorragendsten, kanonischsten, erkennbarsten und einflussreichsten Gedichten in slowenischer Sprache, die gleichzeitig charakteristisch für die Poetik männlicher und weiblicher Dichter seien.

FOTO: Werbematerial

Das Buch richtet sich an ein breiteres Publikum und seine Gliederung ermöglicht es, gewisse Verwandtschaften und Verbindungen zwischen einzelnen Texten zu erkennen. „Nachdem ich Hunderte von Büchern mit slowenischer Poesie von Kosovel und Kocbek bis heute gelesen habe, wurde die Erkenntnis, dass es sich um einen außergewöhnlichen und sehr vielfältigen poetischen Raum handelt, in dem es klar erkennbare Bindungen, Verwandtschaften und Zitatverbindungen zwischen einzelnen Dichtern und Texten gibt, immer unvermeidlicher. Daraus erwuchs eine Reihe thematischer und formaler Beschäftigungen“, erklärte Šteger. Ein Beispiel hierfür ist etwa die auffällige Beschäftigung der slowenischen Lyrik mit der Frage der Sprache: „Slowenische Dichter problematisieren beharrlich unseren eigenen Ausdruckspunkt und unseren Kontext, was anderswo, insbesondere in großen Sprachen, nicht unbedingt so offensichtlich ist. Dann haben wir eine äußerst reiche Sonetttradition, in der Anthologie galt es auch, verschiedene ästhetische Brüche, Avantgarde, Neo-Avantgarde und so weiter zu markieren, ohne dies mit irgendeiner didaktischen Geste zu tun, sondern mit direkter Begeisterung für die Gedichte selbst und ihre unerschöpfliche Bekenntniskraft.“

So entstand ein sehr „offenes“ Buch: Einerseits baut es auf den poetischen Werken der prominentesten Dichter auf, deren Werk zu einem großen Teil als abgeschlossen verstanden werden kann; „zwischen diesen sogenannten Säulen greift er mit thematischen Auswahlen ein, durch die insgesamt achtzig Dichter vorgestellt werden“. Laut Amalija Maček ist dieser Aufbau etwas ungewöhnlich, sie bekräftigt jedoch, dass „sie diese Sets trotzdem sehr schön findet und sie fast eigenständige Hefte darstellen könnten, etwa in Kombination mit künstlerischer Fotografie“.

FOTO: Philosophische Fakultät

FOTO: Philosophische Fakultät

Die Vorstellung, dass die Slowenen eine Nation von Dichtern seien, gebe es in Deutschland schon seit einiger Zeit, fügte Amalija Maček hinzu, aber jetzt wolle man sie noch stärker stärken. Neben den neuen Übersetzungen, die ihm und Göritz zugeschrieben werden, enthält die Anthologie auch bestehende Übersetzungen, was eine Hommage an Übersetzerkollegen wie Fabjan Hafnerder wahre Botschafter der slowenischen Poesie und Ludwig Hartinger. „Das Besondere an der Anthologie ist, dass sie zweisprachig ist und dass sie ein transparentes Vorwort und einen sehr detaillierten Begleitapparat hat. Kurz gesagt, wir haben versucht, einen ziemlich abgerundeten Reiseführer für alle deutschen Lyrikleser zu schaffen, eine Art Ankerplatz, von dem aus sie durch die Lektüre einzelner übersetzter Bücher in verschiedene Richtungen der Konstellation slowenischer Lyrik von hier vielleicht neu entdeckten Dichtern reisen können“, sagte Aleš. Steger.

Mein Nachbar auf der Wolke ist eine Einladung an deutschsprachige Leser, eine der spannendsten Literaturen Europas zu entdecken, stimmt Matthias Göritz zu, auch deutscher Kurator der Präsentation Sloweniens als Teil des Ehrengastes. Ihm zufolge öffnet Poesie Herz und Verstand, führt zu wichtigen Diskussionen über den Sinn von Literatur und Leben und zeigt, dass Lesen ein intimer Akt ist. Schon als er eingeladen wurde, als Co-Kurator mitzuwirken, wollte er auch die Poesie in den Vordergrund rücken, und er war bald von den berühmten Worten von Edvard Kocbek, Mein Nachbar auf der Wolke, angezogen.

Auf viele weitere Kooperationen

Mein Nachbar auf der Wolkeist laut Göritz die interessanteste Parabel für die slowenische Poesie und Literatur im Allgemeinen: „ein Nachbar im Sinne von Kultur, Sprache und Poesie mit einer einzigartigen Geschichte der Findung und Definition der eigenen Identität neben anderen, größeren Kultur- und Sprachräumen, die ihn umgeben, und gleichzeitig der Reaktion auf die Poesie der eigenen Nachbarn – die slowenische Poesie ist in ihrem Wesen das beste Beispiel europäischer Poesie mit all ihrer Vielfalt, ihren Paradoxien und ihrer kulturellen Bedeutung – aber immer einzigartig“. Für ihn ist Slowenien ein kleines Land mit viel Poesie – und gerade deshalb „eines der größten, reichsten und literarisch gesehen reisenswertesten Länder der Welt“.

FOTO: Črt Pixi

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Dies wurde zunächst von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung anerkannt, und nach der Veröffentlichung der Anthologie erkannten dies auch namhafte deutsche Medien und Verlage an. „Die Idee für die Anthologie reifte etwa sechs Jahre lang, als die Ausschüsse der Deutschen Akademie den Vorschlag und das erste Konzept genehmigten und in ihr Programm aufnahmen. Vor unserer wurden große Anthologien beispielsweise dänischer und italienischer Poesie und die monumentale Anthologie moderner europäischer Poesie Grand Tour veröffentlicht“, erklärte Aleš Šteger. Die Veröffentlichung des Buches Mitte dieses Sommers fiel mit einem mehrtägigen Treffen von Mitgliedern der Akademie (etwa sechzig von ihnen kamen) in Ljubljana zusammen. Dies wurde auch mehrere Jahre im Voraus geplant, und wie Šteger auch betonte, gab es in der National- und Universitätsbibliothek in Ljubljana ein historisches Treffen zwischen Mitgliedern der Deutschen Akademie und der Slowenischen Akademie der Wissenschaften und Künste (SAZU).

Mein Nachbar auf der Wolke eines der bemerkenswertesten Bücher im Rahmen des slowenischen Ehrenbesuchs in Frankfurt sein wird oder ist, ist Matthias Göritz überzeugt, und auch, dass die Anthologie viele ähnliche Bücher in vielen anderen Sprachen, mit unterschiedlichen Herausgebern und Übersetzern inspirieren wird, die die aktuelle Auswahl bereichern werden. Ein italienischer Verleger hat bei einer Präsentation im Münchner Lyrikkabinett bereits Interesse an der Anthologie beim Herausgeber im Hanser-Verlag angemeldet. „Jede Anthologie ist ein Kompromiss, vor allem wenn es mehrere Herausgeber oder Verleger gibt. Jeder wünscht sich vielleicht einen anderen Aufbau, eine andere Liedauswahl und Schwerpunktsetzung“, so Amalija Maček. „Den grundlegenden Auftrag, dem deutschen Leserpublikum einen ersten Einblick in die Fülle der slowenischen Lyrik zu bieten, erfüllt die Anthologie jedoch. Die Resonanz ist überaus positiv.“

FOTO: Jože Suhadolnik

FOTO: Jože Suhadolnik

Deutsche Dichter, Verleger, Literaturkritiker und einfache Leser schreiben ihr immer wieder, dass die slowenische Lyrik für sie eine Entdeckung sei, dass sie in der Anthologie „Fundgrube“ so viel Schönes gefunden hätten. „Wie wir im Vorwort geschrieben haben, verstehen die Herausgeber es vor allem als Einladung zur weiteren Lektüre“, betonte sie. Gleichzeitig war die Anthologie auch Anlass für die Veröffentlichung von Übersetzungen von Büchern einzelner Autoren. Für einige wird es das erste Mal sein; renommierte Verlage interessieren sich für sie. Den größten Erfolg und laut deutschen Medien „den perfekten Auftakt zur Feier des Ehrengastes auf der Frankfurter Messe“ erlebte laut Matthias Göritz die Auswahl der Lieder. Thomas Solomon (Suhrkamp Verlag), das er und ich übersetzten und herausgaben Lisa Linde Und Monika Rinck.

Die slowenische Poesie steht unter dem Kommando eines reisenden poetischen Automaten Mein Nachbar auf der Wolke wurde kürzlich in mehreren Städten in Österreich und Deutschland aufgeführt (Gradec, Leipzig, München, Frankfurt und Marbach). Ab 2020 präsentiert das einflussreiche Magazin Manuscripte aufstrebende und inspirierende slowenische poetische Stimmen in einer gleichnamigen Sonderkolumne (Mein Nachbar auf der Wolke). Auch nach der Messe solle dies weitergeführt werden, sagt Initiator Matthias Göritz. „Die slowenische Lyrik ist etwas Besonderes… Ich hoffe und glaube, dass durch gemeinsame Anstrengungen noch weitere Gedichtbände übersetzt werden und diese einen großen Eindruck in der deutschen Literaturszene hinterlassen werden.“

Hildebrand Geissler

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