Einem deutschen Apotheker gehen durch immer mehr erfolgreiche Klagen von Patienten Milliarden verloren

Bayer hat sich mit der Übernahme des amerikanischen Monsanto offenbar gelohnt. Nach milliardenschweren Vergleichen und Schadensersatzzahlungen im Zusammenhang mit dem Unkrautvernichtungsmittel Roundup, von dem die Kläger behaupten, dass es Krebs verursacht, hat ein US-Gericht das Unternehmen zur Zahlung des höchsten Schadensersatzes aller Zeiten verurteilt.

31. Januar 2024 05:59

Im Juni 2018 erwarb Bayer den amerikanischen Agrochemiekonzern Monsanto für sagenhafte 63 Milliarden Dollar (58 Milliarden Euro). Seitdem war der deutsche Pharmariese, der seit dem 19. Jahrhundert für die Patentierung von Aspirin bekannt ist, Gegenstand tausender Klagen wegen Monsantos Hauptbestandteil Glyphosat. Dies übt Druck auf die Gewinne aus und untergräbt das Vertrauen der Aktionäre.

Die Übernahme gilt als eine der schlimmsten in der Geschichte. Seit der Ankündigung der Übernahme im Jahr 2016 hat Bayer mehr als die Hälfte seines Marktwerts verloren. Mit knapp über 30 Milliarden Euro ist es weniger als die Hälfte dessen wert, was für den Kauf von Monsanto ausgegeben wurde. Die Nettoverschuldung des Unternehmens beträgt 38 Milliarden Euro.

Rekordvergütung

Ein Gericht in Philadelphia entschied am Montag, dass Bayer 2,25 Milliarden US-Dollar (gut zwei Milliarden Euro) an den Anwender des Unkrautvernichters Roundup zahlen muss. Es handelt sich um die höchste Entschädigung, die jemals für Glyphosat gewährt wurde. Er hat es erhalten John McKivison aus Pennsylvania, der Roundup mehrere Jahre lang nutzte. Die Bayer-Aktie fiel nach der Nachricht um mehr als fünf Prozent.

Die Klagen sind noch nicht abgeschlossen. Nur einen Tag nach dem US-Urteil verhandelte ein Gericht in Australien die abschließenden Argumente einer Sammelklage, in der mehr als tausend Kläger ebenfalls Krebs durch Roundup-Konsum verursachten. Laut Reuters ist es die erste Klage in Australien, die dieses Ausmaß erreicht. Die meisten Klagen werden vor US-Gerichten eingereicht.

Doch trotz gesundheitlicher Bedenken genehmigte die Europäische Kommission im vergangenen November den Einsatz von Glyphosat in der EU für weitere zehn Jahre. Obwohl die Internationale Gesundheitsorganisation (WHO) 2015 in einer Studie die Auffassung vertrat, dass Glyphosat „wahrscheinlich krebserregend für den Menschen“ sei, bezog sich die Kommission in ihrer Entscheidung auf Studien, die diesen Kausalzusammenhang nicht festgestellt hatten.

Zehntausende Klagen

Die Monsanto-Einheit von Bayer hat in den letzten drei Jahren zehn von 16 Roundup-Prozessen gewonnen. Doch die Niederlagen, insbesondere gegen Ende des letzten Jahres, waren schmerzhaft. Unter ihnen sprach ein Gericht in Missouri im November drei Klägern Schadensersatz in Höhe von 1,5 Milliarden US-Dollar (1,4 Milliarden Euro) zu. Im Oktober verloren sie drei Gerichtsverfahren, die sie zusammen rund eine halbe Milliarde Dollar (462 Millionen Euro) kosteten.

Der nächste Prozess ist für Anfang Februar im Bundesstaat Delaware geplant.

In den USA wurden bereits 165.000 Klagen von Personen eingereicht, die behaupten, dass sie aufgrund der Einnahme von Roundup an Krebs oder Lymphomen erkrankt seien. Im Jahr 2020 hat Bayer nach einer Reihe von Verlusten einen Großteil dieser Klagen mit Tausenden von Klägern beigelegt. Im Rahmen des Vergleichs zahlte er rund 9,6 Milliarden Dollar (8,9 Milliarden Euro) an die Kläger, was dem Unternehmen in diesem Jahr einen Jahresverlust von 10 Milliarden bescherte.

Der Vergleich bedeutete, dass Bayer nicht verpflichtet war, eine Haftung für die angeblich negativen Auswirkungen von Roundup einzugestehen. Sie verzichteten auch auf die Verpflichtung, auf der Roundup-Verpackung einen Krebswarnhinweis anzubringen. Das Unternehmen konnte jedoch nicht erreichen, dass der Vergleich auch alle künftigen und offenen Klagen umfasst. Rund 50.000 Gerichtsverfahren seien noch offen, schreibt Reuters.

Bayer besteht darauf, dass Glyphosat für den Menschen nicht schädlich sei. Das Unternehmen „steht voll und ganz hinter seinen Glyphosat-basierten Produkten, die seit fast 50 Jahren weltweit verwendet werden“, sagten sie. Gegen das jüngste Urteil in Philadelphia wird Berufung eingelegt, ebenso wie gegen die jüngsten erfolgreichen Klagen. Gleichzeitig weisen sie darauf hin, dass es in der Vergangenheit mehrfach zu erheblichen Kürzungen des ursprünglich zugesprochenen Schadensersatzes gekommen sei.

Ein Landwirt in Frankreich verwendet das Herbizid Roundup, das Glyphosat enthält (Foto: PROFIMEDIA)

Auswirkungen auf das Geschäft und die Aktie

Die Monsanto-Übernahme hatte negative Auswirkungen auf den Aktienwert von Bayer, da sich die Anleger über rechtliche Risiken im Zusammenhang mit einer seiner Haupteinnahmequellen Sorgen machen. Seit der Ankündigung der Übernahme im Jahr 2016 ist die Bayer-Aktie um rund zwei Drittel gefallen. Im September 2016 lag der Kurs der Aktie bei rund 90 Euro, am 30. Januar dieses Jahres bei knapp über 30 Euro.

Im vergangenen Juni kam es auf Wunsch der Aktionäre zu einem Wechsel an der Spitze des Unternehmens. Er wurde der neue CEO Bill Andersondem es gelungen ist von Werner Baumann. Er leitete das Unternehmen zum Zeitpunkt der Übernahme von Monsanto. Nach Angaben der New York Times handelte es sich damals teilweise um eine defensive Entscheidung. Ein Jahr zuvor fusionierten die Konkurrenten Dow Chemicals und DuPont, und im Februar 2016 fusionierte Swiss Syngenta mit China National Chemical Corp.

Der neue CEO sagte letzten Monat, dass das Unternehmen verschiedene Optionen zur Verbesserung des Betriebs erwäge. Dazu gehört die Möglichkeit, die Agrarsparte, zu der auch Roundup gehört, zu verkaufen oder abzuspalten.

Die Hälfte der Einnahmen aus „Pflanzenwissenschaften“

Roundup ist eines der Herbizide der Bayer-Sparte „Crop Science“, zu der nach der Übernahme auch das amerikanische Unternehmen Monsanto kam. Mittlerweile macht dieser Geschäftsbereich etwa die Hälfte des Gesamtumsatzes von Bayer aus. Knapp die Hälfte des Umsatzes des deutschen Unternehmens wird mit pharmazeutischen Produkten erwirtschaftet, der geringste Anteil mit Consumer-Health-Produkten.

In den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres erwirtschaftete das Landwirtschaftsministerium gut 17 Milliarden Euro Einnahmen von insgesamt 35 Milliarden Euro. Von diesen 17 Milliarden entfielen 4,5 Milliarden Euro auf Herbizide, das ist rund ein Drittel weniger als im Vorjahreszeitraum. Im Jahr 2022 belief sich der Gesamtumsatz auf knapp über 50 Milliarden Euro, wovon knapp über 25 Milliarden Euro in der Agrarsparte erwirtschaftet wurden.

Was ist Glyphosat?

Glyphosat ist eine chemische Verbindung, die Monsanto in den 1970er Jahren zur Unkrautvernichtung entwickelt hat. In den 1990er Jahren entwickelte das Unternehmen dann gentechnisch verändertes Saatgut, das gegen Glyphosat resistent ist. Mit dieser Kombination könnten Landwirte Roundup verwenden, um Unkraut abzutöten, ohne dass dadurch auch die Ernte abgetötet wird. Monsanto hat sich jedoch zu einem weltweit führenden Anbieter von Saatgut und Herbiziden entwickelt.

Laut Bayer sind Herbizide auf Glyphosatbasis „von entscheidender Bedeutung für die Landwirtschaft, die Nachhaltigkeit und die Fähigkeit, genügend Nahrungsmittel zu produzieren, um eine wachsende Weltbevölkerung zu ernähren“.

Im März 2015 hat die im Rahmen der WHO tätige Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) auf der Grundlage der bis dahin veröffentlichten Forschungsergebnisse eine Studie veröffentlicht herausgefunden, dass „Glyphosat wahrscheinlich krebserregend für den Menschen ist.“ Diese Entscheidung löste in den USA eine Welle von Klagen gegen Monsanto aus. Doch die Expertenmeinungen sind geteilt. Sowohl die US-Umweltschutzbehörde EPA als auch europäische Aufsichtsbehörden gehen davon aus, dass Glyphosat keinen Krebs verursacht.

Bayer-Chef Bill Anderson
Auch Bayers neuer Vorstandsvorsitzender Bill Anderson erwägt eine Ausgliederung der Agrarsparte, zu der auch Roundup gehört (Foto: PROFIMEDIA)

Zulassung in der EU

Die Europäische Kommission ist im November hat den Einsatz von Glyphosat in der EU für 10 Jahre genehmigt. Die Entscheidung der Exekutive fiel nach langwierigen Verhandlungen, der Einholung von Expertenmeinungen, der Bürgerinitiative „Stopp Glyphosat“ und gescheiterten Abstimmungen in den EU-Mitgliedstaaten. Ohne diesen Beschluss wäre die aktuelle Lizenz für Glyphosat Mitte Dezember ausgelaufen.

Bei der Genehmigung bezog sich die Kommission auf die Erkenntnisse der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA). Beide Behörden bekräftigten in einem langwierigen Neubewertungsprozess, der bereits im Dezember 2019 begann, den Standpunkt aus der letzten Zulassung im Jahr 2017. Ihren Erkenntnissen zufolge gibt es keine Hinweise darauf, dass Glyphosat krebserregend ist.

Im Jahr 2020 ist es dasselbe von der US-EPA gefundensowie Aufsichtsbehörden in vielen anderen Ländern. Selbst die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen konnte keinen Zusammenhang zwischen Glyphosat und Krebs feststellen. Die IARC ist die einzige große Behörde, die an ihrer Einschätzung festhält, dass Glyphosat krebserregend ist.

Glyphosat
In Slowenien wird das Herbizid auf Glyphosatbasis von der amerikanischen Firma Albaugh hergestellt, und zwar in Rače (Foto: PROFIMEDIA)

Slowenische Regierung für ein schrittweises Nutzungsverbot

In Slowenien sind nach Angaben der Verwaltung für Lebensmittelsicherheit, Veterinärmedizin und Pflanzenschutz 13 Produkte registriert, die Glyphosat enthalten. Allerdings ist der Einsatz sämtlicher Herbizide auf öffentlichen Flächen verboten. Einige Herbizide, zu denen kein Glyphosat gehört, sind entlang von Bahnstrecken sowie entlang von Autobahnen und Schnellstraßen erlaubt.

Im Oktober habe die Regierung einen Beschluss gefasst, in dem sie „für ein Verbot des Einsatzes von Glyphosat plädiert und gleichzeitig eine angemessene Umstellungsphase für die Landwirtschaft sicherstellt“, schrieben sie. Sie gehen nämlich davon aus, dass in der Landwirtschaft eine übermäßige „Chemisierung“ stattgefunden hat, ein Anbau ohne Herbizide jedoch kurzfristig nicht möglich ist.

In Rače bei Maribor ist eine Fabrik des amerikanischen Herbizidherstellers Albaugh tätig. Die Fabrik produziert unter anderem das Herbizid Boom effect, das auf Glyphosat basiert. Neben Bayer gehörte Albaughs europäische Tochtergesellschaft zu den beteiligten Unternehmen der Glyphosate Renewal Group, die sich bei der Europäischen Kommission um eine Genehmigung bemühte.





Helfried Kraus

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