Der diesjährige Träger des mit 25.000 Euro dotierten Friedenspreises des Deutschen Börsenvereins ist 47 Jahre alt Navid Kermaniein Schriftsteller, Orientalist und Kosmopolit aus Köln, dessen Ideal eine offene europäische Gesellschaft ist.
Zur Begründung des renommiertesten deutschen Literaturpreises, der am Sonntag in der Frankfurter Paulskirche verliehen wird, schrieben sie, dass sie in einem Jahr der Flüchtlingsflut Deutschlands Kermanis außergewöhnlichen Respekt vor der Menschenwürde und unterschiedlichen Kulturen schätze und Religionen sowie sein Streben nach einer offenen europäischen Gesellschaft, die Flüchtlingen Schutz bietet und die Menschlichkeit nicht vergisst.
Kermani, „eine der wichtigsten Stimmen der heutigen deutschen Gesellschaft“ und „ein Mann, der Extremisten aus allen Bereichen des politischen und ideologischen Spektrums ablehnt“, verdiene diese Auszeichnung für seinen Beitrag zum interreligiösen Dialog, so die Preisträger. In einem akademischen Werk, das sich mit Fragen der Mystik, Ästhetik und Theodizee in der islamischen Welt befasst, nutzt er sein umfassendes Wissen, um Einblicke in theologische und soziologische Debatten zu gewähren, und seine Romane, Essays und Kriegsreportagen zeigen sein Engagement für den Respekt vor jeder Einzelne.
Der Preis, dessen Gelder ausschließlich aus Beiträgen von Verlagen und Buchhändlern stammen, ist damit das erste Mal seit 2008, dass er einem Deutschen verliehen wird. Vor sieben Jahren erhielt ihn der Maler Anselm Kiefer, und zu den bisherigen Preisträgern zählen so große Namen wie Orhan Pamuk, Claudio Magris, Susan Sontag, Jürgen Habermas, Péter Esterházy, Amos Oz, Václav Havel, Mario Vargas Llosa, Astrid Lindgren, Ernesto Cardenal, Max Frisch, Hermann Hesse und viele andere. Vor zwei Jahren erhielt ihn die diesjährige Literaturnobelpreisträgerin Svetlana Aleksijevic.
Gott ist schön
Der 47-jährige Navid Kermani hat zwei Pässe, einen deutschen und einen iranischen. Er wurde im November 1967 in Siegen geboren und lebt heute in Köln. Er studierte Islamwissenschaft, Philosophie und Dramaturgie und gab seiner vielbeachteten Dissertation den Titel Gott ist schön: die ästhetische Erfahrung des Korans.
Schon als Student schrieb er Artikel und Rezensionen für Frankfurter Allgemeine ZeitungAls Dramatiker arbeitete er eine Spielzeit am Theater an der Ruhr in Mühlheim, eine Spielzeit am Schauspielhaus Frankfurt. 1994 gründete er in Isfahan das erste internationale Kulturzentrum, musste es jedoch aufgrund der Spannungen in den deutsch-iranischen Beziehungen nach drei Jahren schließen.
Nach der Veröffentlichung eines humorvollen und philosophischen Debütromans „The Book of Those Killed“ von Neil Young und eines Reportagebuchs Der schöne neue Orient: Berichte aus Städten und KriegenEr wollte sich ganz dem Schreiben von Belletristik widmen, überlegte es sich aber offenbar inzwischen anders und habilitierte sich mit einer viel beachteten Dissertation Die Gewalt Gottes: Attar, Hiob und metaphysische Rebellion. Letztes Jahr schrieb er einen 1.232 Seiten umfassenden Roman Ihr Name erhielt den mit 50.000 Euro dotierten Joseph-Breitbach-Preis, den höchsten deutschen Literaturpreis insgesamt, außerdem wurde das Werk für den renommierten „Deutschen Literaturpreis“ nominiert.
Große Resonanz fand auch im vergangenen Jahr seine Rede vor den Bundestagsabgeordneten zum 65. Jahrestag der Verabschiedung des deutschen Grundgesetzes, in der er die normative Kraft des Dokuments eingehend analysierte und gleichzeitig die deutsche Gesetzgebung kritisierte. Der Deutsche Bundestag forderte damals, mehr Flüchtlinge aufzunehmen.
Laut deutschen Kritikern thematisieren Kermanis Romane grundlegende Fragen und Grenzerfahrungen menschlicher Existenz, Liebe und Sexualität, Ekstase und Tod. Deutsche Medien schrieben, Kermani wolle die Leser immer überraschen, deshalb gehe er an jedes Buch anders heran, zunächst wähle er, wie er sagte, die passende Form, den passenden Ton oder die passende Perspektive, vergesse dann aber nie die Schönheit der Sprache.
Auch er veröffentlichte letztes Jahr eine Studie Zwischen Koran und Kafka: West-Ost-StudienAuch seine Reportage von seiner Irak-Reise, die er für das Magazin schrieb, fand großen Anklang Der Spiegel. Seine Aufsatzsammlung ist mehr als aktuell, genau wie vor einigen Jahren, als Multikulturalismus und die Fragen der Integration und Assimilation von Muslimen in Deutschland leidenschaftlich diskutiert wurden Wer sind wir? Deutschland und seine Muslimein dem er laut Kritikern anschaulich Gewalt, Terrorismus und Islam sowie die Möglichkeit und Notwendigkeit der Integration des Islam in das säkulare Europa diskutiert.
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