Für Deutschland besteht kein Zweifel: der russische Oppositionsführer Alexej Nawalny, der vor etwas mehr als zehn Tagen zur Behandlung aus Russland nach Berlin transportiert wurde, wurde mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok vergiftet. Dass die Bundeskanzlerin selbst die Nachricht mit einem kurzen Auftritt vor laufenden Kameras der Öffentlichkeit bekannt gab, spricht Bände darüber, wie zuversichtlich die Bundesregierung von den Erkenntnissen ihrer Bundeswehr ist, die die Ermittlungen durchgeführt hat. Angela Merkel. „Alexei Nawalny wurde Opfer eines Angriffs mit einem chemischen Nervengift der Nowitschok-Gruppe. Das sind besorgniserregende Informationen über den versuchten Mord durch Vergiftung einer führenden Persönlichkeit der russischen Opposition“, sagte sie.
Nowitschok ist kein Gift, das man in einem etwas besser sortierten Laden verkaufen würde. Es wurde in den 1970er und 1980er Jahren von der Sowjetunion entwickelt und gilt als eines der tödlichsten der Welt. Der breiten Öffentlichkeit wurde es vorletztes Jahr bekannt, als in England ein ehemaliger Russe und damaliger Doppelspion damit vergiftet wurde Sergej Skripal und seine Tochter, die überleben. Damals warf das offizielle London Moskau vor, nun verlangt auch Merkel von ihm Antworten. „Es gibt ernste Fragen, die nur die russische Regierung beantworten kann und muss. „Jemand hat versucht, Herrn Nawalny zum Schweigen zu bringen“, sagte sie. Gleichzeitig kündigte sie an, dass sie sich mit anderen Mitgliedern der Europäischen Union und der NATO über die Ereignisse beraten werde und darüber, wie zu handeln sei, wenn und falls Moskaus Antworten kommen.
Russland bestreitet Beteiligung, West glaubt Deutschland
Erste Reaktionen kamen aus Moskau. Sie bestritt eine Beteiligung und kritisierte die Art und Weise, wie Merkels Nachricht an die Öffentlichkeit kommuniziert wurde, sowie den „Mangel an Beweisen“. „Wo sind die Fakten, wo sind die Formeln, zumindest einige Informationen?“ fragte die Sprecherin des Außenministeriums, Marija Sacharowa. Der Kreml hatte zunächst erklärt, man wolle einen umfassenden Informationsaustausch mit Deutschland und sei zur Kooperation bereit, man sei aber auch nicht vorab über die Erkenntnisse von deutscher Seite informiert worden. Die russische Botschaft in Berlin warnte jedoch davor, den Fall zu „politisieren“.
Einige russische Medien fragten, warum strenge Sicherheitsmaßnahmen und Menschen in luftdichten Schutzanzügen dieses Mal nirgendwo zu sehen waren, wie es im englischen Salisbury der Fall war, wo die Skripals vergiftet wurden. Einige Experten behaupten auch, dass Nowitschok nicht mehr so unzugänglich sei, dass man davon ausgehen könne, dass es aus staatlichen Labors stamme.
An den Erkenntnissen Berlins gab es im Westen keinen Zweifel. Das Weiße Haus sagte, die Vergiftung sei „verwerflich“ und es werde kooperieren, um die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Die Europäische Union verurteilte Nawalnys „versuchten Mord“ auf das Schärfste und forderte eine umfassende Untersuchung. Boris Johnson, der Premierminister Großbritanniens, wo vorletztes Jahr der Nowitschok-Anschlag stattfand, bezeichnete den Einsatz von chemischem Gift als ungeheuerlich und forderte Erklärungen von der russischen Regierung. Auch der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian, der heute Ljubljana besucht, verurteilte den Anschlag in Paris auf das Schärfste.
Bei stabilem Zustand sind dauerhafte Auswirkungen möglich
Nawalny (44) erkrankte am 20. August auf einem Inlandsflug nach Moskau. In einem der online veröffentlichten Videos sind seine Schmerzensschreie im Flugzeug zu hören, das im zentralrussischen Omsk nahe der Grenze zu Kasachstan landete, wo Nawalny zunächst behandelt wurde. Die dortigen Ärzte sagten, sie hätten keine Anzeichen einer Vergiftung festgestellt. Auf Wunsch seiner Angehörigen erlaubte das offizielle Moskau seine Überstellung nach Berlin. Dort heißt es, dass sein Zustand inzwischen stabil sei, die Genesung aber noch lange dauern werde und man dauerhafte Folgen der Vergiftung nicht ausschließen könne.
Nawalny ist wohl der exponierteste innenpolitische Kritiker des russischen Präsidenten Wladimir PutinSpätestens seit Boris Nemzow 2015 auf einer Moskauer Brücke erschossen wurde. Er organisierte eine Reihe von Protesten, sprach sich gegen Korruption aus und hat 2,2 Millionen Follower auf Twitter. Mehr noch als außerhalb der urbanen Zentren Russlands ist Nawalny im Ausland bekannt. Im vorletzten Jahr wurde ihm die Teilnahme an den Präsidentschaftswahlen untersagt und er wurde mehrmals verhaftet.
Die Beziehungen zu Moskau werden auf die Probe gestellt
Es ist unwahrscheinlich, dass seine Nowitschok-Vergiftung zu Veränderungen im eigenen Land führen wird, wohl aber zu Veränderungen in den Beziehungen Russlands zum Westen. Schon gestern gab es Schätzungen, dass Deutschland und mit ihm ein großer Teil der EU die Veranstaltung nicht bestehen wird und dieses Mal auch nicht will, wie aus Merkels gestrigem Auftritt hervorgeht. „Dieses Ereignis muss ein Wendepunkt in der europäischen Außenpolitik gegenüber Russland sein“, schrieb gestern die liberale Bayerische Süddeutsche Zeitung.
Deutschland war jedoch schon früher in Schwierigkeiten. Er wirft der russischen Regierung oder ihren Diensten vor, den ehemaligen georgischen Rebellenkommandanten in Tschetschenien, der unter einem anderen Namen in der deutschen Hauptstadt lebte, im vergangenen Jahr am helllichten Tag in Berlin töten zu lassen. Zwei Diplomaten wurden aus Deutschland ausgewiesen, ein wegen Mordes angeklagter russischer Staatsbürger wurde festgenommen.
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