Die deutschen Ritter, die im Hochmittelalter begannen, Lieder zu schreiben, in denen sie die übermäßige körperliche und geistige Schönheit der Frauen priesen, erfanden tatsächlich das, was wir heute romantische Liebesdichtung nennen
Berühmter britischer Kunsthistoriker Kenneth Clark bemerkte einmal, dass fast alles, was in der europäischen Kultur bleibenden Wert und Bedeutung hat, tatsächlich von den Griechen und Römern erfunden wurde. Zu den seltenen späteren Beiträgen zur Schatzkammer der westlichen Zivilisation, die nach Clarks ultrakonservativer Überzeugung dennoch unserer Aufmerksamkeit würdig sind, gehört das Konzept der romantischen Liebessehnsucht. Allerdings haben sie es nicht erfunden, wie man meinen könnte Überwältigt, Byron, Puschkin, Leoparden und andere Lyriker der Romantik vom Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts, sondern vielmehr deren entfernte poetische Vorläufer aus dem Mittelalter.
Irgendwie tauchten ab dem 12. Jahrhundert in europäischen Burgen von Südfrankreich bis Mitteldeutschland in Volkssprachen verfasste Gedichte auf, die Frauen, ihre außergewöhnliche körperliche und geistige Schönheit und vielleicht auch ihre Flüchtigkeit oder Unzugänglichkeit nachdrücklich lobten. Über diese poetische Tradition verband die Literaturgeschichte letztlich zwei Begriffe: Als Troubadour-Lyrik wurden diejenigen Gedichte bezeichnet, die im romanischen Umfeld Südfrankreichs, überwiegend in der provenzalischen oder okzitanischen Sprache entstanden, und jene, die nördlich der Alpen in Mittelhochdeutsch entstanden, als Minezang.
Wenn es die Troubadours der Provence dank der Übersetzungsbemühungen können Boris A. Novak, das wir seit rund zwanzig Jahren auf Slowenisch lesen, ist uns das reiche und vielfältige Korpus der deutschen mittelalterlichen Lyrik bisher weitgehend unbekannt geblieben. Nun, das hat sich endlich geändert, denn kürzlich wurde unter der Schirmherrschaft des Verlags der Universität Ljubljana eine Anthologie veröffentlicht Minezangdas sie vorbereitet, übersetzt und mit einem Vorwort versehen hat DR. Mateja GaberGermanist und Korrektor für die deutsche Sprache an der Philosophischen Fakultät in Ljubljana.
Wie sehnten sie sich vor acht Jahrhunderten in den deutschen Kulturraum, wo damals übrigens auch die slowenischen Länder gehörten? Unterscheiden sich deutsche Dichter von ihren provenzalischen Kollegen hinsichtlich der ausgedrückten Gefühle und Formulierungsweisen? Wie beeinflusste diese Poesie die weitere poetische Entwicklung in Europa? Und nicht zuletzt: Wie lebendig sprechen uns diese Lieder heute an? – Das sind die Fragen, die uns im diesjährigen Kulturschwerpunkt beschäftigen werden, bei dem wir Dr. Gaber zu Gast hatten.
Foto: Herr Gornjegrajski auf einer Miniatur in Manesses Manuskript, frühes 14. Jahrhundert. (Goran Dekleva)
Goran Dekleva
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