Das Familienauto steckt im Sommerstau fest. Die Kolonne bewegt sich sehr langsam, da sie aufgrund des Windes einen wichtigen Tunnel auf dem Weg nach Dalmatien verschließt. Die beiden kleinen Passagiere auf dem Rücksitz ließen sich von keiner elterlichen Ermahnung trösten – einer Geschichte, einem Spiel oder einem Leckerbissen. Das Weinen wurde immer hartnäckiger und es gab eine letzte Lösung: ein Handy mit einem beliebten Spiel.
Eine solche Peinlichkeit ist vielen Eltern bekannt, die im Stau, im Wartezimmer und bei einer dringenden Aufgabe die fast wundersame Kraft eines Smartphones oder elektronischen Tablets erkannt haben. Die Geräusche der animierten Bilder auf dem Bildschirm wurden sofort durch den Schrei eines Kindes ersetzt. Die kleinen Nutzer wurden abgelenkt und die Erwachsenen konnten sich für einige Momente entspannen. Doch mit einem effektiven elektronischen Babysitter geht zunehmend das schlechte Gewissen der Eltern einher. Ist es in Ordnung, Kinder mit elektronischen Geräten zu trösten? Oder ähnelt ein solcher pädagogischer Ansatz dem in der Antike, als der Schnuller eines Babys mit Wein übergossen wurde, um es zum Schweigen zu bringen?
In den letzten zehn Jahren haben Computer, Tablets und Mobiltelefone die Geschichte ihrer Vorläufer elektronischer Medien wiederholt. Jede neue Medien- und Kommunikationstechnologie weckte zunächst große Erwartungen, bevor sie zur Bedrohung wurde. In den 1950er Jahren hielt das Fernsehen als ideale Gouvernante Einzug in amerikanische Familien, um Kinder zu unterhalten, zu fördern und zu erziehen. Aber nicht lange. Es wurde bald zum größten Feind der Moral, der Gesundheit und des Familienlebens, da es die Jugend korrumpierte und die meisten Probleme der modernen Welt verursachte. Eltern kauften für ihre Kinder Personalcomputer als unverzichtbares Lehrmittel, ohne das sie sich nicht auf das 21. Jahrhundert vorbereiten könnten. Doch sie brachten Pornografie, Gewaltspiele und Einsamkeit in die Kinderzimmer, sodass die anfängliche Begeisterung von moralischer Panik abgelöst wurde.
Die größten Schädlinge…
Digitale Demenz – ein Buch über die Auswirkungen digitaler Technologien, geschrieben von einem deutschen Psychologen, Psychiater und Professor Manfred Spitzer – Es gehört sicherlich nicht zu den Materialien, in denen sich die Autoren von den Errungenschaften des digitalen Zeitalters begeistern (Mohorjeva Založba, 2016, übersetzt von Stanislav M. Maršič). Für Spitzer sind digitale Medien mindestens genauso schädlich wie Fast Food, da sie die Gehirnentwicklung von Kindern behindern oder verhindern, die psychische Gesundheit schädigen und authentische Beziehungen zerstören. Er suchte nach Argumenten für solche Behauptungen in der Wissenschaft – der Hirnforschung, der Lerntheorie und der Psychologie. Er identifizierte auch die größten Schädlinge. Technologiekonzerne, Medienpädagogen, Politiker und Lehrer, die unkritisch digitale Technologien in Schulen und Kindergärten einführen.
Spitzer ist überzeugt, dass digitale Technologien und computergestützte Lernhilfen keinen positiven Einfluss auf die Entwicklung des kindlichen Gehirns haben. Interaktive Whiteboards? Nutzlos. Elektronische Lehrbücher? Ineffizient. Pädagogische Computerspiele und Videos? Marketingbetrug. Hunderte elektronische Freunde auf Facebook? Einsamkeit im wirklichen Leben. Der Autor von Digital Dementia findet im gesamten Buch kein einziges (wissenschaftlich belegtes) positives Beispiel für den Einsatz digitaler Technologien. Keine Forschung hat die von ihren Befürwortern versprochenen Lernziele bestätigt, unabhängig davon, ob die Forscher Medienkompetenz, Gedächtnis oder Kreativität gemessen haben (indem wir ein bestimmtes Computerspiel spielen, trainieren wir uns selbst, das Spiel zu spielen). Aber digitale Technologien sind nicht nur wirkungslos, warnt Spitzer. Es gibt immer mehr Hinweise darauf, dass übermäßiger Konsum schädlich ist.
Polizisten und Straßenverkehrsleiter erzählen gerne Anekdoten von Lkw-Fahrern, die aufgrund blinden Vertrauens in ein Satellitennavigationsgerät in einer engen Unterführung steckengeblieben sind, oder von Touristen, die es aufgrund eines Computerprogrammfehlers ohne Personalausweis bis zur ersten Schengen-Grenze geschafft haben Unterlagen. Eine solche Abhängigkeit von der elektronischen Navigation ist nicht nur unangenehm.
Orientierung und Bewegung sind sehr wichtige Aufgaben, mit denen Menschen das Gehirn aktivieren und trainieren, erklärte Spitzer – der beste Weg, degenerativen Erkrankungen vorzubeugen oder sie zumindest zu verzögern (das Lösen von Sudoku auf einem Tablet zeigte keine derartigen Vorteile). Ebenso zeigte er, dass das vermeintliche Multitasking nur eine Illusion ist, da sich Menschen nicht gleichzeitig auf Multitasking konzentrieren können. Daher steigern digitale Technologien nicht die Effizienz, sondern bewirken das Gegenteil. Aufgrund der digitalen Ablenkung sind wir weniger konzentriert und verbringen viel mehr Zeit mit den gleichen Aufgaben als zuvor. Auch das Risiko, an Depressionen, Angstzuständen und anderen psychischen Störungen zu erkranken, ist höher.
Nur ein neues Beispiel
Noch mehr Sorgen macht er sich um Kinder, deren Gehirne noch wachsen und sich entwickeln. Grundsätzlich kann ein Erwachsener in sozialen Netzwerken zwischen echten und elektronischen Freunden unterscheiden. Zu seinen sozialen Kontakten zählt er Menschen, die er bereits kennt oder die ihm bei der Arbeit nützlich sind (Internet-Romanzen verzichtet Spitzer dezent). Bei Kindern und Jugendlichen ist das völlig anders, da die Verbindung der Neuronen im Gehirn von der Umgebung – den Reizen, die das Individuum umgeben – abhängt. Ihre Frontallappen sind noch nicht reif genug, um sich aller Dimensionen menschlicher Beziehungen bewusst zu sein. Allgegenwärtige digitale Medien beeinflussen daher zwangsläufig die Art und Weise, wie das Gehirn im Kindesalter programmiert wird, schrieb der deutsche Psychologe. Weil sie einen großen Teil ihrer Freizeit ausfüllen und weil elektronische Bildschirme sie andere Aktivitäten vergessen lassen.
Ist digitale Demenz trotz zahlreicher wissenschaftlicher und professioneller Referenzen nur ein weiteres Beispiel für moralische Panik? Ein antiker griechischer Philosoph warnte vor den schädlichen Auswirkungen früherer neuer Medien Plato, als er vor den negativen Auswirkungen des Schreibens warnte (der Mensch wird sich an nichts mehr erinnern, geschriebenes Wissen ist kein echtes Wissen…), doch heute verwenden moderne Platoniker ähnliche Argumente, wenn sie das Buch gegen den elektronischen Bildschirm verteidigen. Gewalttätige Zeichentrickfilme, Fast-Food-Werbung und Boulevardnachrichten können kaum als zivilisatorische Errungenschaften verteidigt werden, doch den Forschern ist es weitgehend nicht gelungen, einen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zwischen Medieninhalten und Zuschauerverhalten nachzuweisen. Wenn Ermittler feststellen, dass junge norwegische, amerikanische und französische Massenmörder gewalttätige Computerspiele gespielt haben, heißt das nicht, dass sie wegen dieser Spiele mit dem Töten begonnen haben. Die Beziehung zwischen Technologien, Inhalten und ihren Nutzern ist viel komplexer.
Die übermäßige oder unangemessene Nutzung digitaler Technologien ist meist nur ein Symptom einer anderen sozialen Krankheit. Spitzer interessierte sich nicht dafür, warum Eltern elektronische Geräte nicht zu Hause wegräumen (weil sie das möglicherweise wegen der Arbeit nicht dürfen), warum sie für ihre Kinder Mobiltelefone kaufen (Sicherheitsgefühl, Angst vor Ausgrenzung) und wie viel Der Aufwand, der heute nötig ist, um Arbeit, Familie und Freizeit unter einen Hut zu bringen.
In den USA und anderen Medienmärkten können sich immer mehr gesellschaftliche Gruppen eine gesunde Medienernährung nicht leisten, weil qualitativ hochwertige Inhalte teuer sind und sie allzu oft nicht einmal von öffentlichen Diensten angeboten werden. Ein noch größeres Problem ist die Technologieangst der Erwachsenen, die dazu geführt hat, dass sie die „digitale“ Bildung in Schule und Familie fast vollständig aufgegeben haben. Stattdessen sind sie den kommerziellen Interessen von Technologie- und Medienunternehmen und Politikern gewichen, die durch die Einführung digitaler Technologien die Illusion einer größeren Effizienz des Fortschritts erzeugen.
Kennen wir überhaupt junge Nutzer?
Spitzer stellt zu Recht fest, dass viele Schulen und Kindergärten kritiklos teure technische Lehrmittel einführen, obwohl diese nicht auf ihre Wirksamkeit getestet sind und traditionellen didaktischen Methoden oft unterlegen sind. Außerdem sind sich die Benutzer der Suchtgefahr digitaler Technologien nicht ausreichend bewusst, die von einem amerikanischen Journalisten in dem Buch Hooked: How to Build Habit-Forming Products (2014) beschrieben wurde. Nir Eyal. Entwickler von Spielen, Online-Anwendungen und sozialen Netzwerken erforschen und nutzen gezielt psychologische Mechanismen, mit denen sie Nutzer anlocken und in der elektronischen Welt halten wollen.
Aufgrund solch umstrittener Praktiken muss die Digitaltechnologiebranche ebenso streng kontrolliert werden wie die Hersteller von Tabakwaren, Fast Food, Alkohol und anderen Bereichen, die sich negativ auf die öffentliche Gesundheit auswirken. Doch eine solche Kontrolle fordert heute niemand mehr – weder Politiker noch Lehrer, Eltern oder Medienpädagogen.
Beim unermüdlichen Aufzählen der negativen Folgen digitaler Technologien vergaß Spitzer den wohl wichtigsten Ratschlag, der zuverlässig dabei hilft, die meisten Missbräuche eines neuen Mediums oder einer neuen Versuchung zu verhindern. Um herauszufinden, was junge Menschen in elektronischen Notunterkünften tun, und um ihnen genau die Orientierung zu geben, die sie in der realen Welt brauchen. Doch für einen solchen Schritt muss man sie erst einmal richtig kennenlernen. Sowohl digitale Technologien als auch ihre Nutzer.
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