Aleksandar Gatalica: Belgrad für Ausländer



Aleksandar Gatalica kann sich eines reichen Wissens über die serbische Geschichte rühmen, vor allem aber mit seiner kunstvollen Verarbeitung und raffinierten Interpretation historischen Materials zu einer Fantasy-Geschichte, die den Leser durch die Beschreibung vieler fabelhafter Details fasziniert. Foto: Primus-Verlag

Zu seinen bekanntesten Werken zählen Kurzgeschichtensammlungen Belgrad für Ausländer Und Mimikry und Romane Lebensadern, Der Tod des Euripides, Die Unsichtbaren, Der Große Krieg Und Der letzte Argonaut.

Eine Besonderheit der Sammlung Belgrad für Ausländer ist, dass es sich bei den Protagonisten um außergewöhnliche Individuen handelt, die entweder aufgrund ihrer Charaktereigenschaften oder aufgrund eines ungewöhnlichen Berufs oder Hobbys grundsätzlich nicht in das dogmatische Gesellschaftssystem passen, deren Präsenz sich jedoch auf seltsame Weise als entscheidend für die serbische Gesellschaft erweist. Gatalica gestaltete die Sammlung chronologisch anhand eines historischen Rückblicks vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Daher ist es nicht verwunderlich, dass neben dem Titel der Geschichte auch das Jahr genannt wird, das den historischen und kulturellen Rahmen für die Interpretation der beschriebenen Situation oder des beschriebenen Ereignisses bildet. Die zentralen Charaktere der Geschichten sind fiktive Personen, die sich als Einwanderer aufgrund verschiedener Umstände in Belgrad wiederfinden und deren Taten eine ganze Reihe von Ereignissen auslösen, die auch den Verlauf der serbischen Geschichte beeinflussen. Der Autor spielt eher die Rolle eines Rekonstrukteurs der Geschichte des Alltagslebens als die eines Historikers, da ihm historische Fakten – wie unter anderem der Autor des Vorworts, Milosav Gudović, schreibt – nur als dienen „ein Sockel, auf dem er seine eigene ästhetische Wahrheit oder wahre Fiktion aufbauen kann“.

Aleksandar Gatalica kann sich eines reichen Wissens über die serbische Geschichte rühmen, vor allem aber mit seiner kunstvollen Verarbeitung und raffinierten Interpretation historischen Materials zu einer Fantasy-Geschichte, die den Leser durch die Beschreibung vieler fabelhafter Details fasziniert. So in der Geschichte Belgrader TaucherIn dem Film, der während des serbischen Aufstands gegen die Türken (1804) spielt, folgen wir Ismail Vidinski, einem Taucher mit türkischen Wurzeln, der angeblich mehrere Stunden in Save und Donau verbringen konnte. Dies wurde sowohl von Serben als auch von Türken ausgenutzt, da er als außergewöhnlicher Unterwasserbote galt:

Unter Wasser roch es nicht nach Munition, und Geräusche, ob Schreie oder Kanonensalven, drangen kaum bis dorthin, aber der Belgrader Taucher roch trotzdem Krieg und schwamm an die Oberfläche. Er war jetzt mehr amphibisch als menschlich: Zwischen seinen Zehen und Händen hatte er die Schwimmhaut einer Ente, und die Haut, die wie Seide glänzte, war wie bei einem Fisch unter seine hervorstehenden Rippen gesteckt. Wer würde ihn erkennen? Wer würde ihn einstellen? Wundersamerweise gelang dies den serbischen Häuptlingen, die im Krieg gegen die türkische Garnison in Belgrad vergessen hatten, dass der Wassermann in Vidin einst ein Türke war. Aber der Belgrader Taucher selbst hat es wahrscheinlich vergessen, und es bestand keine Gefahr, dass er die Aufständischen verrät.“

Die vorliegende Geschichte, die Ivo Andrič gewidmet ist, ist eine metaphorische Darstellung des Schaffensprozesses dieses berühmten Nobelpreisträgers, der seine größten Werke während des Zweiten Weltkriegs in der Stille seines Büros in Belgrad schuf. Eine in Briefform geschriebene Geschichte Diebstahl im Glossar, das ein Jahrhundert später spielt, als Serbien sich von der Herrschaft der Türken befreite, begleitet Gatalica einen deutschen Philologen, der bei der Erstellung eines antiken griechisch-serbischen Glossars feststellt, dass einzelne eingegebene Wörter den Lauf der serbischen Geschichte und auch sein eigenes Leben verändern können. In der Geschichte Der Mann, der den Tod verkaufte Die zentrale Figur ist der Kürschner Anastazij Pravica, der Ende des 20. Jahrhunderts die Pelze gefährdeter Tiere verkauft, die er auf dem ungarischen, moldauischen und siebenbürgischen Schwarzmarkt erhält. Als er bei der Lektüre von Zeitungsnachrufen feststellt, dass seine Kunden kurz nach dem Pelzkauf sterben, macht er sich als eine Art Detektiv auf die Suche nach dem seltsamen Zufall:

Anastasij Pravica verkaufte den Tod selbst, obwohl er tief in seinem Inneren das Gefühl hatte, dass Pelz nicht die Ursache für das Ende eines Menschen sein könne, sondern vielmehr ein gerechtes Urteil. Die Jets wurden kurzzeitig vom Polarfuchs angezogen, vom Astrachan gelb vom Krebs, vom rotgesichtigen Zobel, vom blassen anämischen Hermelin und von denen mit dunklen Augenlidern vom Nerz.

Der moderne Puls der serbischen Metropole, hin- und hergerissen zwischen klaren Träumen, phantasmagorischen Visionen und dem ursprünglichen Überlebensdrang, kommt in den Geschichten am deutlichsten zum Ausdruck Ich bin eine Legende, Duel Und König der Mäuse und Ratten. Im ersten wird die Realität der Hauptfigur, die aus einer kleinen Küstenstadt nach Belgrad zieht, entsprechend ihren verdrängten Ängsten und Wünschen verändert, im zweiten werden die Parallelleben einer Klavierlehrerin und eines ungebildeten Politikers gezeigt, die in ihren Träumen miteinander ausräumen, und im dritten werden die Überlebensstrategien von Menschen am Rande der Gesellschaft gezeigt, die von den selbsternannten Herren der Stadt regiert werden:

Zu den autorisierten Vasallen gehörten Lord Sredoja, der das Lesen der Zeitung in Fast-Food-Restaurants kontrollierte, Lord Dobrica, der Herrscher über kostenlose Vorträge und Konzertmatineen, Lord Gana, allmächtig unter Gizdalinas und kalt-warmen Buffets in den Hotels der höchsten Klasse, und schließlich Lord Kosta, der grausame Aufseher der kostenlosen Verkostungen in Selbstbedienungsläden. Der König der Mäuse und Ratten selbst wachte über Taschendiebe und Betrüger, und da die Armee seiner Untertanen am zahlreichsten war, erklärte er sich selbst zum rechtmäßigen König von Belgrad.“

Auch wenn es den Anschein hat, als wolle Aleksandar Gatalica mit seinem halb dokumentarischen, halb Fantasy-Stil näher an den Leser heranrücken, verliert er sich doch oft in unwichtigen Details, die den ansonsten klar entwickelten roten Faden der Erzählung verdecken. Obwohl er ein stilistischer Meister ist, der auf witzige und leicht zynische Weise mit Worten spielt Belgrad für Ausländer Wir vermissen den Umgang mit Stereotypen und Mythen, die Ausländer über die serbische Hauptstadt haben. Und eine Betrachtung dieser und jener Art von Entfremdung in einem Land, das im 21. Jahrhundert versucht, einen Slalom zwischen verschiedenen politischen Diskursen und Geschichtsdeutungen zu fahren.

Aus der Show Vom Buchmarkt.

Fabjan, Lainšček, Gatalica

Almeric Warner

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