Für ihn sei der Euro kein ökonomisches Konstrukt, hörten die geladenen Gäste am 17. Mai 2012 im großen Saal der Aachener Stadtverordnetenversammlung. Nein, der Euro sei ein politisches Projekt, fuhr der Redner fort: „Ich denke und ich weiß, dass er auch denkt, dass der Euro eine Friedenspolitik auf andere Weise in unruhigen und unsicheren Zeiten ist. Daher müssen wir uns vor denen in Acht nehmen, die schnell reagieren.“ Vorschläge und schnelle Ideen, immer feste und sichere Vorstellungen davon haben, was zu tun ist und wie es zu tun ist. Griechenland raus, andere rein, ein Bruch für Griechenland, Deutschland ist der Zahler Europas, der einzig vernünftige auf der Welt – alle Das stimmt nur zum Teil. Wer Europa mit festen Ideen führen möchte, wird Europa zerstören (unübersetzbares Wortspiel: fixe unde Ideen – fix und fertig machen), weil ihm die Würde anderer Menschen in anderen Ländern egal ist.
Sprecher: Jean-Claude Juncker.
Zelebrant: Wolfgang Schäuble, Träger des Karls-Europa-Preises der Stadt Aachen für, wie es in der offiziellen Stellungnahme heißt, „Beitrag zur europäischen Integration und Stabilisierung der Währungsunion“.
Kaum drei Jahre sind vergangen, und es ist möglich, dass der damalige Chef der Eurogruppe und heutige Präsident der Europäischen Kommission, zumindest inoffiziell, nicht mehr mit sich selbst einverstanden ist. Wenn Jean-Claude sich überhaupt an seine überschwänglichen Worte über seinen Freund Wolfgang erinnert. Kaum drei Jahre ist es her, dass Schäuble vor rund einem Monat seinem finnischen Ministerkollegen Alexander Stubb zuhörte, als ihm eine weitere, kleinere Auszeichnung verliehen wurde, diesmal für „Verdienste um die Vereinigung Deutschlands und Europas in Frieden und Freiheit“. Der Finne, der am zweifelhaften Ruf Shylocks festhält, sagte unter anderem, dass er sich im Laufe seiner Karriere inspirieren ließ und dass er seine These auf längst zurückliegendem Schäubl-Material zur europäischen Integration verfasst habe.
Ein Mann der Pflicht und Loyalität
Augenzeugen bemerkten, dass Schäuble strahlte und lächelte. Was nicht sehr oft vorkommt. Aber auch öffentlich begegnete er seinem Sprecher mit einem Lächeln. Der Vorfall, der 2010 zum Rücktritt eines Sprechers des deutschen Finanzministeriums führte, ist noch heute im Internet zu sehen. Schäuble, der den Journalisten lächelnd mitteilt, dass er die Pressekonferenz um zwanzig Minuten verschiebt, weil die Journalisten das schriftliche Material noch nicht erhalten haben, und dann vor laufenden Kameras und Mikrofonen, beschimpft seinen Kollegen. Die Geschichte fand damals großen Anklang, denn es war einer der sehr seltenen Vorfälle, bei denen mehr als nur ein erfahrener Politiker (Schäuble trat 1972 als Mitglied des Bundestags in die deutsche Nationalpolitik ein) in der Öffentlichkeit die Beherrschung verlor.
Aus heutiger Sicht wirkt das politisch mehr oder weniger nebensächliche Ereignis von vor fünf Jahren auch wie ein Ausbruch einer nicht besonders lobenswerten Charaktereigenschaft – der Rache. Denn in Schäubls Verhalten der letzten Monate und insbesondere der letzten Wochen sehen viele gerade Rache, eine gnadenlose Vergeltung für vermeintlich unerfüllte Pflichten und Versprechen. Einmal vom Sprecher, das zweite Mal von Janis Varoufakis und der griechischen Regierung. Schäuble, zweifellos ein Mann der Pflicht und der Loyalität, der langjährige Kronprinz von Helmut Kohl, versteht einfach nicht, dass jemand versehentlich oder aufgrund objektiver Umstände seine Pflicht und sein Versprechen nicht erfüllt. Was er irgendwie mit seiner Gestik, seiner Mimik, seinem Tonfall und seinem Gesicht verrät. Wer sich an Max Furian erinnert, den diensthabenden Darsteller deutscher Offiziere in jugoslawischen Partisanenfilmen, wird noch besser verstehen, warum Schäuble heute in Griechenland auf den Plakaten steht.
Minister rücksichtslos. So nannte ihn die Wochenzeitung „Spiegel“ am vergangenen Wochenende in ihrer Schlagzeile und führte Schäübles Vorschlag für einen „vorübergehenden“ Grexit auf die durch das griechische Referendum verletzte Eitelkeit zurück. Es ist nicht ganz sicher, ob es sich dabei um einen Bluff oder eine scheinbare Drohung handelte, deren einziger Zweck darin bestand, Alexis Tsipras zur nahezu bedingungslosen Kapitulation zu zwingen, oder um eine völlig ernste Drohung. Beide Optionen zeigen, wie sehr sich ein promovierter Anwalt eigentlich nicht um europäische Verträge kümmert.
Lange Reise, viele Narben
Zur Ehre Junckers und seiner Eröffnungsrede muss hinzugefügt werden, dass Schäuble, der 1942 im baden-württembergischen Freiburg geboren wurde, bis vor drei Jahren den Eindruck erweckte, dass er sowohl deutsche als auch europäische Interessen berücksichtigte. Er hat ihn nicht ohne Grund aufgeweckt, und zwar nicht nur, weil ihn die günstigere Frankfurter Allgemeine Zeitung aufgrund seiner weltanschaulichen Nähe als Europäer bezeichnete. Im Gegensatz zur deutschen ordoliberalen Doktrin dachte beispielsweise Schäuble schon vor Jahren laut über gemeinsame Euro-Anleihen nach, also die Aufnahme von Krediten zu einem „einheitlichen“ Zinssatz für alle Mitglieder der Euro-Gruppe. Auf diese Weise würden Deutschland und andere Länder mit hoher Bonität die Kreditkosten für Griechenland, Italien, Slowenien und andere Länder senken, die damals mit Forderungen in sechs- und siebenprozentiger oder sogar zweistelliger Höhe konfrontiert waren kehrt zurück. Auch über Griechenland und die Griechen machte er sich bis vor Kurzem nicht lustig, und letzte Woche schlug er „scherzhaft“ abfällig, wenn nicht sogar geradezu verächtlich vor, dass sie mit dem ebenfalls überschuldeten Puerto Rico in der Dollarunion den Platz tauschen sollten. Der Respekt und die Würde, mit denen er früher seine inhaltlich immer harten Forderungen gegenüber Griechenland ausstattete, war nicht mehr zu hören oder zu hören.
Schäuble hat eine äußerst lange politische Karriere hinter sich und stand lange Zeit an der Spitze der Regierung. Und viele Narben, politische und, als Opfer eines Attentats vor einem Vierteljahrhundert, auch körperliche. Er und sein Mentor Kohl, der ihn 1997 bei der Wahl 2002 als seinen Nachfolger verkündete (die geplante Nachbesetzung wurde jedoch erst durch den Wahlsieg 1998 durch den Sozialdemokraten Gerhard Schröder verhindert), trennten sich nach jahrzehntelanger vertraulicher Zusammenarbeit an der Wende des Jahrtausends vor dem Hintergrund einer Affäre mit Parteifunktionären. Beiträge und Verbindungen der CDU mit dem Waffenhändler. Zum Zeitpunkt dieser Affäre trat Schäuble sogar als Parteivorsitzender und Fraktionsvorsitzender zurück und entschuldigte sich bei der deutschen Öffentlichkeit, dass „aus Verantwortung gegenüber der CDU gegen Gesetze verstoßen“ worden sei.
Da die Anklage nicht genügend Beweise gegen Schäuble sammelte, der tatsächlich zugab, dass er die Partei (heute deutsche Interessen) über das Gesetz (heute Buchstaben und Geist europäischer Verträge) gestellt hatte, konnte Angela Merkel ihn nach dem Wahlsieg politisch rehabilitieren Wahlen Ende 2005, als sie ihm den Posten des Innenministers anbot. Und Schäuble wusste, wie er es ihr heimzahlen konnte. Der deutsche Gesamtsieg Ende letzter Woche oder Anfang dieser Woche in Brüssel gehört ihm.
Macht macht einen Mann hart, und je mehr Macht ein Mann hat, desto härter wird er. Vielleicht nicht alle, aber sicherlich zu viele, insbesondere in der Politik. Wolfgang Schäuble sei schon immer hart gewesen, schrieb der Tagesspiegel 2010, nicht zuletzt sich selbst gegenüber. Wer nicht fest an der Macht ist, verliert sie. Es klingt brutal, und selbst in den Augen vieler wirtschaftlicher und politischer Gleichgesinnter ist dies das Bild des deutschen Finanzministers.
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