Ein Spanier, der keine Roboter mag, hat den deutschen Fußball bekehrt

Für immer Sekunde? Nicht länger! Der Fußballfluch in Leverkusen endet, der Engländer hat ihn nach München getragen.

Das Team von Xabi Alonso (Mitte) stürmt der deutschen Doppelkrone entgegen.

EPA

Jede Herrschaft endet. Und in Deutschland geht die Ära der Bayern zu Ende. Elf Meister in Folge in der Bundesliga. Die Überlegenheit, die Gewalt, das Selbstvertrauen der Bayern waren so groß, dass der Verein aus München für… ewig unbesiegbar schien. Wenn überhaupt, dann schien es, als würde ihn Borussia Dortmund eines Tages wieder stürzen. Niemand hatte damit gerechnet, dass die Saison 2023/24 einen neuen deutschen Meister hervorbringen würde. Okay, wir sind noch nicht ganz am Ziel, aber Bayer Leverkusen hat einen solchen Vorsprung und ein so gutes Spiel, dass ihnen der Titel nicht mehr genommen werden kann. Dass selbst der Bayern-Trainer bereits kapituliert hat. Die Geschichte der Fußball-„Apotheker“ ist seltsam. Es war Anfang des letzten Jahrhunderts, als Friedrich Bayer, der Gründer des Leverkusener Pharmakonzerns, der uns Aspirin gab, einen Brief von 170 Mitarbeitern erhielt. Sie wollten gewinnen, sie wollten ihren eigenen „Fabrik“-Sportverein. Herr Bayer gab ihrem Antrag statt und 1904 wurde Bayer 04 Leverkusen gegründet. Die Jahre der Siege und Niederlagen begannen, 1999 traf NK Maribor in seiner ersten Champions League auch auf den Verein in den Farben Rot und Schwarz. Im Ljudské vrt verloren die Lila mit 0:2, aber in der damals hochmodernen BayArena schlugen sie den Ball in der letzten Runde an alle Enden der Tribüne und unter der Defensivtaktik von Bojan Prašnikar, Ante Šimundža, Kliton Bozgo und Kollegen spielten 0:0 und verhinderten das Vorrücken der Deutschen. Roms Lazio Rom und Dynamo Kiew gingen in Führung.

Leverkusen, Neverkusen…

Damals begann in Leverkusen der Aufbau der Mannschaft, die 2002 das Finale der Champions League erreichte, wo man Real Madrid (1:2) unterlag. Ja, es war dieses Spiel mit Zinedine Zidanes schrecklichem Volleyschuss, mit einem der schönsten und wichtigsten Tore in der Fußballgeschichte. Fünf Bayer-Spieler, Michael Ballack, Hans-Jörg Butt, Oliver Neuville, Carsten Ramelow und Bernd Schneider, erreichten dann im Sommer mit Deutschland das WM-Finale, Lucio gehörte sogar zum Siegerteam Brasiliens.

Wer weiß, wann und wo Bayer den Fluch der „ewigen Sekunde“ auf sich genommen hat. Zwar gewann er 1988 den UEFA-Pokal. Und 1993 den Deutschen Pokal. Aber in der nationalen Meisterschaft wurde es fünfmal Zweiter, 1997, 1999, 2000, 2002 und 2011. Im deutschen Pokalwettbewerb war es noch dreimal Finalist: 2002, 2009 und 2020. Zweiter wurde bisher kein Verein So oft Bundesliga, geschweige denn mindestens einmal Meister geworden. Die Tradition, immer unter der Decke zu stecken, sie aber nie zu betreten, wurde so stark, dass der Verein aus Leverkusen einen spöttischen Spitznamen erhielt – Neverkusen. Geschmacklos, wenn man so will.

Doch schon in wenigen Wochen fällt diese Tradition. Es ist noch nicht ganz vorbei, es sind noch sieben Runden in der deutschen Meisterschaft und die Situation vor den Spielen dieses Wochenendes ist wie folgt: Bayer Leverkusen 73 Punkte, Bayern München 60, Stuttgart 57, Borussia Dortmund 53 … Bei 50 Punkten, RB Leipzig mit Benjamin Šešek und Kevin Kampl, die zuvor für den Verein aus Leverkusen spielten. Letzterer verdiente 2017 mit ihm 20 Millionen Euro, als er ihn nach Leipzig verkaufte. Also ein großer Vorsprung von 13 Punkten und noch einiges an Spiel übrig. Doch eine Wende in Deutschland scheint so unmöglich, dass Bayern-Trainer Thomas Tuchel am vergangenen Wochenende, als die Bayern erneut ihre neu entdeckte Ohnmacht zeigten und bei Borussia Dortmund mit 0:2 verloren, Dortmunds ersten Sieg in München seit zehn Jahren, bereits aufgegeben hatte und sagte: „Ich habe keine Hoffnung mehr. Uns fehlt die Leidenschaft. Und ja, selbst Bayers ewige Siege bringen uns um.“

Feier nach dem Spiel.

Wolfgang Rattay

Empfehlungen? Schon Schauspiel, kein Coaching

Ja, die Geschichte von Bayer ist auch die Geschichte des seltsamen Niedergangs der Bayern. Er ist (war) in einer schrecklichen Phase, seine elf aufeinanderfolgenden Titel von 2013 bis 2023 sind ein Rekord der stärksten Fußballligen. In Italien schaffte Juventus aus Turin den neunten Platz (2012-2020). In Frankreich war Lyon bis Siebter (2002–2008). Real Madrid wurde in zwei Perioden, zwischen 1961 und 1965 sowie 1986 und 1990, fünfmal in Folge spanischer Meister. In der englischen Premier League feierten zwei Vereine aus Manchester dreimal hintereinander: United wiederholte dies sogar (1999-2001 und 2007-2009), City (2021-2023) ist immer noch auf der Suche nach vier. Selbst in weniger reichen Ligen sind nur wenige über die bayerische Leistung hinausgekommen. Skonto aus Riga wurde 14 Mal in Folge lettischer Meister, ebenso wie Lincoln Red Imps im Fußball-Exoten Gibraltar. In Bulgarien hat Ludogorets aus Razgrad zwölf Meisterschaftssaisonen gewonnen und der dreizehnte ist in greifbarer Nähe.

Harry Kane brachte den Bann mit, der jetzt auf die Bayern einprasselt.

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Als Harry Kane im vergangenen Sommer für rund hundert Millionen zum FC Bayern kam, bekam der Klub mit dem Engländer einen Superscorer, einen Rekordbrecher, der in München einst von Gerd Müller, neuerdings auch von Robert Lewandowski betreut wurde. Doch die Symbiose auf dem Platz scheint bei den Bayern kaputt zu sein, fast jedes Wochenende ist eine Krise. Hey, Kane hat seinen Fluch mitgebracht. Ein Spieler dieses Kalibers hat noch nie etwas gewonnen. Keine Vereinstrophäen. Doch damit nicht genug, der bloße Niedergang der Bayern reichte nicht aus, um aus Neverkusen ein stolzes Leverkusen zu machen. Und hier kommt der Spanier ins Spiel. Ein Typ, der noch nie zuvor Trainer war. Zumindest nicht der Trainer der Mitgliedsmannschaften. Xabi Alonso. Der Mann für den Aufschwung in Leverkusen, wohin nun die gesamte Fußballwelt lüstern blickt.

Dort landete Alonso im Oktober 2022. Empfehlungen? Ehemaliger Top-Fußballer der Bundesränge des furiosen Spaniens, Liverpool (2004-2009), Real Madrid (2009-2014) und Bayern (2014-2017), das ist alles. Als Trainer arbeitete er bisher nur mit der B-Mannschaft von Real Sociedad aus San Sebastian zusammen. Na, wo steht Bayer heute? Eine unglaubliche Serie von 44 ungeschlagenen Spielen in allen Wettbewerben mit 39 Siegen und fünf Unentschieden, nachdem man am Mittwoch im Pokal-Halbfinale Fortuna Düsseldorf mit 4:0 besiegte. Ihn erwartet nicht nur der erste Titel des Deutschen Meisters, sondern auch eine Doppelkrone, denn er wird im Finale des DFB-Pokals mit dem Zweitligisten Kaiserslautern spielen. Und da ist noch das Viertelfinale der Europa League, wo die Rot-Schwarzen gegen den Londoner West Ham antreten.

Wer denkt, wird nicht bestraft

Wenn Xabi Alonso etwas mitgebracht hat, dann ist es die Siegermentalität. Mit Liverpool gewann er 2005 die Champions League. Mit Real wurde er 2012 spanischer Meister und zwei Jahre später Europameister. Mit den Bayern holte er dreimal den Bundesliga-Pokal (2015-2017), mit der spanischen Nationalmannschaft gewann er die EM 2008 und 2012, dazwischen wurde er 2010 Weltmeister. Als Trainer flog er natürlich „unter“. „auf dem Radar“ der größten Clubs.

Leidenschaftlich während des Spiels Xabi Alonso

Ronald Wittek

Aber dann ging es los… Sieg um Sieg, die verrücktesten Siege voller Last-Minute-Tore. So wie letztes Wochenende gegen Hoffenheim, das in der BayArena bis zur 88. Minute führte…aber 1:2 verlor. Nur Bayer hat, wenn man die Vereine aller 54 nationalen Erstligen europaweit betrachtet, in der Saison 2023/24 kein einziges Spiel verloren. Die Rekordserie der Bayern von 32 Spielen ohne Niederlage in den Jahren 2019 und 2020 ist längst vorbei. Der Meilenstein von Glasgow Celtic mit 62 Spielen scheint vorerst in weiter Ferne zu liegen.

Im Spiel der Leverkusener voller präziser Mikropässe glänzen alle von der Abwehr bis zur Mittellinie, wo Granit Xhaka die Führung übernimmt. Der Schweizer mit Wurzeln im Kosovo kam letzten Sommer von Arsenal aus London und ist auf dem Platz eine Art verlängerter Arm von Xabi Alonso. Besessenheit ist eine der Waffen von Bayer. Ein anderes ist – harte Arbeit, Laufen. Als die beiden Vereine in Leverkusen spielten, liefen die Bayer-Spieler 3,7 Kilometer mehr als die Bayern-Spieler. Wenn es darum geht, ein Tor zu erzielen oder einen tödlichen Pass beizusteuern, zaubern der Nigerianer Victor Boniface und der Spanier Alex Grimaldo … mit den besonderen Kräften von Alonso. „Als Spieler haben sie mich ermutigt, während des Spiels meine eigenen Entscheidungen zu treffen. Das ist es, was ich auch von den Spielern will. Ich will keine Roboter. Wenn du etwas auf deine Art machst, wirst du bei mir am Ende nicht bestraft.“ Deshalb musste ich auf der Bank sitzen“, erklärt Xabi Alonso. Und die Welt beobachtet seine Arbeit. Ja, er ist bereits auf dem Radar der ganz Großen. Seine ehemaligen Vereine. Liverpool und Bayern haben es bereits versucht. Er lehnte ab, er bleibe in Leverkusen, „meine Arbeit hier ist noch nicht beendet“, sagt der 42-jährige Stratege. Als nächstes kommt Real…

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Christiane Brandt

„Möchtegern-Kommunikator. Zertifizierter Unruhestifter. Foodaholic. Bacon-Liebhaber.“

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